Nachkriegskinder
was ich bisher mitgeteilt habe, wird ja wohl deutlich, dass ich ein Einzelgänger bin.
Als Kaufmann nie glücklich
Ich war als Kaufmann nie besonders glücklich. Ich habe angestellt gearbeitet, es fehlte mir der Mut, mich selbständig zu machen. Diesen Sprung schaffte ich erst, als ich beschloss, Fotograf zu werden. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich immer schon den Künstler in mir spürte. Fest steht: In meinem ersten Beruf fühlte ich mich als Versager. Meine Karriere kam nicht gut voran. Andere, die jünger waren als ich, zogen an mir vorbei. Vor meinen Chefs hatte ich immer große Angst. Das finden Sie sicher sonderbar, weil ich ja ziemlich groß und stark aussehe. Mein größtes Hindernis war, glaube ich heute, dass ich Kritik nicht aushalten konnte. Aber nicht, wie Sie vielleicht denken: Ich bin dann nicht wütend geworden, ich habe mich nicht über eine angeblich ungerechte Behandlung beschwert, sondern ich habe mich jedes Mal völlig einschüchtern lassen. Ich war überhaupt nicht in der Lage zu überprüfen, ob die Kritik berechtigt war oder nicht.
Von meiner geschiedenen Frau hörte ich öfter, ich sei ein typischer Kaufmann, ich würde den Leuten nach dem Mund reden. Das war meiner Meinung nach aber auch richtig. Man macht einfach leichter Geschäfte, wenn man »der nette Kerl« ist. Heute sehe ich aber noch etwas anderes. Ich habe nicht genau hingeguckt und alle Menschen irgendwie nett gefunden. Ich hoffte wohl: |255| Wenn ich freundlich zu denen bin, dann sind sie es auch zu mir – dann tun sie mir nichts. Fakt ist, dass ich nie gelernt habe, mich zu wehren. Ich kann nur ausweichen. Darum ist es mir so wichtig, dass ich als Fotograf keine beruflichen Zwangskontakte mehr habe. Ich gehe auch keine feste Bindung mehr ein. Seit drei Jahren habe ich eine Freundin, die verheiratet ist und ihre Familie auch nicht verlassen wird.
Ich kann also sagen, dass ich mit meinem Leben recht zufrieden bin. Es ging mir eben schon viel schlechter, sehr viel schlechter, vor allem in meiner Kindheit und Jugend. Für meine Eltern war es das Wichtigste, ihren Söhnen jeden eigenen Willen auszutreiben. »Ich will aber …« gab es nicht. Auf ein Widerwort von uns folgte sofort eine Ohrfeige. Regelmäßig wurden wir durchgeprügelt, auch mit dem Rohrstock. Als ich klein war, dachte ich natürlich, es sei richtig so, ich hätte keine andere Behandlung verdient. Wir drei Brüder waren alle Schulversager, das gab meinem Vater reichlich Anlass, uns zu schlagen. Erst als er tot war, stellten wir fest, dass er selbst gleich zweimal nicht versetzt worden war.
Einmal – ich ging noch nicht zur Schule – da musste mein ältester Bruder ein Gedicht lernen, ich werde den Anfang nie vergessen, er ging so: »Konzert ist heute angesagt im frischen grünen Wald, die Musikanten stimmen schon, hör, wie es lustig schallt.« Hermann musste es meinem Vater vorsagen, und jedes Mal, wenn mein Bruder nicht mehr weiter konnte, hagelte es Schläge. Ich saß derweil in meinem Zimmer, hörte, wie Hermann stockte und dann die immer heftigeren Schläge, Hermanns Schreie, das Brüllen des Vaters. Da kam meine Mutter in mein Zimmer und sagte: »Lass uns gehen. Vati schlägt den Hermann tot.« Wie es in dieser Sache weiter ging, weiß ich nicht mehr. Was in diesem Zusammenhang noch wichtig ist: Meine Mutter war tablettenabhängig und mein Vater ein Trinker.
|256| Seit der NS-Zeit nichts dazugelernt
Er war ein geachteter Bürger und beruflich als Verbandsjurist außerordentlich erfolgreich. Er war das, was man eine beeindruckende Persönlichkeit nennt. Wenn er einen Raum betrat, zog er sofort jede Aufmerksamkeit auf sich. Über Politik äußerte er sich wie jemand, der seit der NS-Zeit nichts dazugelernt hat. Die Freimütigkeit, mit der er sprach, war etwas Besonderes, doch inhaltlich dachten in den sechziger Jahren viele Erwachsene wie er.
Er wurde 1909 geboren; als Hitler an die Macht kam, war er schon volljährig. Inzwischen habe ich in Archiven nachgefragt. Auf der Liste der NS-Verbrecher steht er nicht. Im Frühjahr 1933 trat er in die NSDAP und in die SS ein. Er war quasi ein »nebenberuflicher« SS-Mann, im zweitniedrigsten Rang. Von 1939-45 leitete er einen kriegswichtigen Betrieb im Ruhrgebiet. Auf diese Weise entging er der Wehrmacht. In Essen lernte er meine Mutter kennen. Meine Eltern hatten es gut im Krieg, und sie sind gut davongekommen. Mit ihrer engsten Verwandtschaft waren sie danach zerstritten.
Erst nach dem Tod meiner
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