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Junge.
»Warum stellst du mir diese Frage?«, wollte Jonathan wissen und drehte das Radio leise.
»Weil ich weiß, dass du ihr fehlst und sie sich wünscht, dass wir alle drei wieder zusammenleben.«
Jonathan schüttelte den Kopf. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass sein Sohn glaubte, ihre Trennung sei vielleicht nur vorübergehend. Aus Erfahrung wusste er, dass ein Kind insgeheim den Wunsch hegt, seine Eltern würden eines Tages wieder zueinanderfinden. Einer solchen Illusion sollte sich Charly nicht hingeben.
»Vergiss diese Idee, Liebling. Dazu wird es nicht kommen.«
»Du hast mir nicht geantwortet«, beharrte der Junge. »Du liebst sie noch ein bisschen, oder?«
»Hör zu, Charly, ich weiß, es ist schwer für dich, und du leidest unter dieser Situation. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich in deinem Alter war. Wie du war ich sehr traurig und warf ihnen vor, sich nicht um eine Versöhnung bemüht zu haben. Ich gebe natürlich gerne zu, dass wir alle drei glücklicher waren, als deine Mutter und ich uns noch liebten. Leider dauern Liebesgeschichten nicht ewig. Das ist nun mal so. Deshalb musst du begreifen, dass diese Zeiten hinter uns liegen und nicht zurückkommen.«
»Hmm …«
»Deine Mutter und ich haben uns sehr geliebt, und du bist die Frucht dieser Liebe. Allein deshalb werde ich diese Zeit nie bereuen.«
»Hmm …«
Vor seinem Sohn hatte er Francesca in ihrer Rolle als Mutter nie kritisiert. Auch wenn er ihr vorwerfen konnte, eine untreue Ehefrau gewesen zu sein, so war sie für Charly eine wunderbare Mutter.
»Im Gegensatz zu der Beziehung von Paaren dauert die Verbindung von Eltern und Kindern ein ganzes Leben«, fuhr er fort und hielt sich wortwörtlich an die Empfehlungen der psychologischen Ratgeber, die er gelesen hatte. »Du musst keine Wahl zwischen uns treffen: Deine Mutter bleibt immer deine Mutter und dein Vater immer dein Vater. Wir sind beide verantwortlich für deine Erziehung, und wir begleiten dich in den glücklichen Momenten deines Lebens wie auch in harten Zeiten.«
»Hmm …«
Jonathan betrachtete die Landschaft. Kurvenreich wand sich die Straße am Meer entlang. Mit ihren schroffen, von Wind und Wetter geformten Felsen erinnerte sie eher an die Bretagne oder Irland als an Kalifornien.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, nicht die richtigen Worte für seinen Sohn zu finden. Für Charly war die Trennung seiner Eltern unerwartet und brutal gewesen. Bis jetzt hatte Jonathan immer darauf geachtet, nicht ins Detail zu gehen, was sein Verhältnis mit Francesca betraf, aber war das die richtige Lösung? Ja, wie sollte man einem Kind die Komplexität von ehelichen Beziehungen und die verheerenden Folgen der Untreue erklären? Trotzdem versuchte er es.
»Ich bereue die Vergangenheit nicht, doch eines Tages wurde mir klar, dass deine Mutter nicht mehr die Frau war, die ich zu kennen glaubte. In den letzten Jahren unserer Ehe war ich in eine Illusion verliebt. Verstehst du?«
»Hmm …«
»Hör auf mit deinem ›Hmm‹! Verstehst du jetzt oder nicht?«
»Ich weiß nicht so richtig«, erwiderte das Kind und machte einen Schmollmund.
Verdammt, warum hab ’ ich das nur gesagt? … Jonathan hätte sich ohrfeigen können.
Sie fuhren an einer Kuhherde vorbei und erreichten ihr Ziel: Bodega Bay. Etwa zwanzig Kilometer nordwestlich von San Francisco gelegen, hatte das kleine Fischerdorf Weltruhm erlangt, nachdem Alfred Hitchcock hier einen Großteil der Szenen zu seinem Film Die Vögel gedreht hatte.
An diesem Wintermorgen begann sich der Küstenort erst allmählich zu beleben. Sie stellten den Wagen auf dem fast leeren Parkplatz ab. Charly stieg aus und rannte zu dem Ponton, um die Ohrenrobben zu beobachten, die sich in der Sonne aalten und dabei zufriedene Grunzlaute ausstießen.
Im Hafen boten mehrere Stände fangfrische Krebstiere zum Verkauf an. Unter den Vordächern der Restaurants saßen ein paar alte Männer in ihren Schaukelstühlen, während sie, trotz der frühen Stunde, schon genüsslich Riesen-Taschenkrebse und Clam Chowder , Venusmuschel-Suppe mit Zwiebeln und Speck, in einer Schale aus ausgehöhltem Brot serviert, verzehrten.
Wie er es seinem Sohn versprochen hatte, mietete Jonathan ein kleines Boot mit spitzem Bug, das an die Boote der Fischer von Marseille erinnerte.
»Ahoi, Matrose, lass uns den Anker lichten!«
Die See war ruhig, perfekt, um hinauszufahren.
Das Boot entfernte sich etwa zwei Meilen von der Küste. Charly holte seine
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