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doch Madeline war viel zu sehr in dem Cyberspace versunken, um es zur Kenntnis zu nehmen.
Ihre Finger glitten über den Touchscreen und klickten auf ein Symbol, das sie auf die Website des Magazins Vanity Fair führte. Einige Jahre zuvor hatte die amerikanische Paris Match dem Paar sieben Seiten gewidmet unter dem Titel: » La cuisine, c’est l’amour «. Ein langes Interview und ein paar Glamour-Fotos, die nur entfernt mit der Gastronomie zu tun hatten. Auf einem konnte man erkennen, dass sich das Paar denselben Slogan auf das rechte Schulterblatt hatte tätowieren lassen. Madeline zoomte ihn heran und las:
You’ll never walk alone
Das war schön … vorausgesetzt, man war sicher, das ganze Leben lang zusammenzubleiben. Denn heute, mit dem zeitlichen Abstand, hatte das Foto etwas Trauriges.
»Du erkältest dich noch, Chérie!«, rief Raphael durch die halb geöffnete Terrassentür.
»Ich bin gleich da, Darling«, erwiderte sie, ohne von dem Display aufzublicken.
Während sie von einem Foto zum nächsten klickte, fiel ihr etwas auf. Je nachdem, ob Francesca allein oder in Begleitung von Jonathan zu sehen war, veränderte sich ihr Blick: Das Topmodel, das sich seiner Verführungskraft sicher war, verwandelte sich an seiner Seite in eine verliebte Frau mit schmachtendem Blick. Selbst bei den Inszenierungen für die Journalisten bestand kein Zweifel, dass es sich um eine ganz große Liebe handelte.
Was hat die beiden trennen können?, fragte sie sich und kehrte in den Salon zurück.
»Warum haben sie sich getrennt?«, fragte Charly, der gerade die Angel in den Kofferraum zurücklegte.
»Wer?«
»Deine Eltern.«
Jonathan runzelte die Stirn. Er drehte den Zündschlüssel um und wies den Jungen mit einer Handbewegung an, den Sicherheitsgurt anzulegen. Der Austin Mini Kombi verließ Bodega Bay in Richtung San Francisco.
Im Fahren öffnete Jonathan seine Brieftasche und angelte die verblichene Fotografie einer kleinen ländlichen Gastwirtschaft heraus.
»Deine Großeltern haben ein Restaurant im Südwesten von Frankreich geführt«, erklärte er und deutete auf das Foto.
Charly kniff die Augen zusammen, um den Namen auf dem Schild zu entziffern:
»La Che-va-liè-re.«
Jonathan nickte.
»Als ich noch ein Kind war, hat mein Vater eine Zeit lang eine andere Frau geliebt, die Vertreterin einer großen Champagner-Marke, die sein Restaurant belieferte.«
»Ach ja?«
»Diese Liebe hat über ein Jahr gedauert. Da sich in kleinen Orten Gerüchte schnell verbreiten, haben sie streng darauf geachtet, ihre Geschichte geheim zu halten, was ihnen auch gelungen ist.«
»Warum hat dein Vater das getan?«
Jonathan klappte die Sonnenblende herunter.
»Warum betrügen Männer ihre Frau? Warum betrügen Frauen ihren Mann?«
Er ließ die Frage für einige Sekunden in der Schwebe, so als würde er laut nachdenken.
»Da gibt es wohl eine Menge Gründe: der Verschleiß der Gefühle, die Angst vor dem Alter, das Bedürfnis, noch immer verführen zu können, der Eindruck, ein Abenteuer würde keine Folgen haben … alles Erklärungen, die sicher ihre Berechtigung haben. Ich will damit nicht sagen, dass ich meinen Vater entschuldige, aber verurteilen will ich ihn deshalb auch nicht.«
»Dann ist das also nicht der Grund, warum du ihn nicht sprechen wolltest, als er im Sterben lag?«
»Nein, mein Liebling, nicht deshalb. Mein Vater hatte andere Schwächen, aber trotz seiner Untreue habe ich nie an seiner Liebe zu meiner Mutter gezweifelt. Ich bin mir ganz sicher, dass er unter seinem Ehebruch selbst sehr gelitten hat, doch die Leidenschaft ist wie eine Droge: Anfangs denkst du, du könntest sie beherrschen, und dann, eines Tages, musst du zugeben, dass sie dich beherrscht …«
Zugleich überrascht und leicht verlegen wegen dieser Geständnisse, starrte Charly seinen Vater im Rückspiegel an, doch Jonathan fuhr unbeirrt fort:
»Schließlich ist es ihm gelungen, sich von dieser Frau zu ›entgiften‹. Doch ein halbes Jahr nach Ende dieses Abenteuers fiel ihm nichts Besseres ein, als meiner Mutter den Ehebruch zu beichten.«
»Warum?«, fragte der Junge und riss die Augen weit auf.
»Ich glaube, weil er es bereut hat und sich schuldig fühlte.«
Jonathan setzte den Blinker, um vor einer alten Tankstelle zu halten.
»Und dann?«, wollte Charly wissen und folgte seinem Vater nach draußen.
Jonathan griff zur Zapfpistole.
»Er flehte seine Frau an, ihm zu verzeihen. Da sie zwei Kinder hatten, bat er
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