Nachricht von dir
Angelrute hervor und befestigte mit Hilfe seines Vaters einen Wurm am Haken, bevor er die Leine auswarf.
Jonathan überprüfte Madelines Smartphone, bekam aber kein Netz. Ohne seinen Sohn aus den Augen zu lassen, zündete er sich eine Zigarette an und genoss den ersten tiefen Zug, wobei er den Schwarm von Vögeln beobachtete, die um das Boot kreisten. Hitchcock hatte den rechten Ort gewählt: Die Gegend war ein Paradies für alle möglichen Vogelarten – Möwen, Kormorane, Bekassine –, deren Schreie sich mit dem Tuten der Nebelhörner vermischten.
»Warum rauchst du, wenn man davon stirbt?«, wollte Charly wissen.
Jonathan tat so, als hätte er nichts gehört, und fragte nun seinerseits:
»Hat schon einer angebissen?«
Doch der Junge wollte seinen Kreuzzug gegen den Tabak nicht aufgeben.
»Ich möchte nicht, dass du stirbst«, verkündete er mit feuchten Augen.
Jonathan stieß einen Seufzer aus.
Was kann man dagegen sagen?
Er kapitulierte und drückte seine Zigarette aus, nachdem er einen letzten Zug genommen hatte.
»Zufrieden?«
»Zufrieden«, antwortete der Junge und strahlte seinen Vater an.
Unterdessen in Deauville …
Die Wanduhr im Salon hatte soeben neunzehn Uhr geschlagen.
Ein hübsches Feuer knisterte im Kamin. Raphael und sein Vater spielten eine Partie Billard. Madeline saß auf der Ledercouch und nickte immer wieder automatisch zum Geplapper von Isaure – ihrer Schwiegermutter in spe –, während Sultan, der englische Cockerspaniel, zu ihren Füßen lag und hingebungsvoll auf ihre neuen Schuhe sabberte.
Seit dem frühen Nachmittag trommelte der Regen gegen die Fensterscheiben.
»Ach, ich liebe dieses Programm!«, rief Isaure plötzlich und wandte sich von Madeline ab, um den Ton des Fernsehers lauter zu drehen, in dem kurz vor der Jahreswende die x-te Stilblütensammlung gezeigt wurde.
Madeline nutzte diese Gelegenheit, um sich von der Couch zu erheben.
»Ich gehe schnell mal eine Zigarette rauchen.«
»Ich dachte, du hättest aufgehört!«, protestierte Raphael.
»Das wird Sie umbringen, Liebes«, säuselte Isaure.
»Gewiss«, erwiderte Madeline, »doch an irgendetwas muss man ja sterben, oder?«
Damit schlüpfte sie in ihren Parka und öffnete die Terrassentür.
Obwohl die Dunkelheit längst hereingebrochen war, wurde das kleine anglo-normannische Herrenhaus mit seinem hübschen Fachwerk durch ein raffiniertes System von Spots erleuchtet.
Madeline trat auf die überdachte Terrasse und lehnte sich an die Balustrade. Vom Anwesen aus überblickte man die Rennbahn und ganz Deauville.
Sie zündete sich ihre Zigarette an und nahm einen ersten Zug. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Eingehüllt vom Geräusch des Meeres, schloss sie die Augen und versuchte, sich zu entspannen.
Der bürgerliche Komfort und die völlige Untätigkeit solcher Wochenenden im Schoße der Familie lösten bei ihr widersprüchliche Gefühle aus: inneren Frieden, Ruhe, Revolte, Fluchtreflexe.
Vielleicht mit der Zeit …
Die Luft war eiskalt. Sie schloss den Reißverschluss ihres Parkas, schob die Kapuze über den Kopf und griff in die Manteltasche nach dem Smartphone.
Seit dem Morgen kreisten ihre Gedanken um Francesca DeLillo, mit der sie in der vorangegangenen Nacht am Telefon gesprochen hatte. Diese Frau, ihre Geschichte, ihr Geheimnis übten eine sonderbare Faszination auf sie aus. Ihr Gespräch war kurz, aber markant genug gewesen, um sie den ganzen Tag zu beschäftigen. Als Francesca die Situation begriffen hatte, hatte sie leicht verwirrt darum gebeten, die Nachricht, die sie auf Jonathans Mailbox zurückgelassen hatte, zu löschen und ihm nichts davon zu erzählen. »Ein Moment der Schwäche«, hatte sie ihr gestanden. Madeline hatte verstanden.
Sie aktivierte den Browser und gab in der Suchmaschine unter dem Bereich »Bilder« den Namen Francesca DeLillo ein. In ihrer Jugend, während ihres Studiums der Betriebswirtschaft, hatte die Erbin als Model für die großen Modelabels gearbeitet. Die ersten Fotos waren aus den 1990er Jahren und zeigten sie auf dem Laufsteg und in der Werbung. Sie hatte darauf etwas von einer Demi Moore, Catherine Zeta-Jones oder Monica Belucci. Es folgten eine ganze Reihe Fotos an der Seite von Jonathan, was bewies, dass sie in ihrer glücklichen Zeit nicht gezögert hatten, ihr Privatleben auch ein wenig in den Dienst ihres Unternehmens zu stellen.
Der Regen wurde immer dichter, Donner grollte, ein Blitz schlug in der Nähe des Hauses ein,
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