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vor.
»Endlich mal was Nettes!«
Sie öffneten die Tür zum Cordeliers , dem Bistro, das im Zentrum des Gärtnerviertels lag. Rund um die Theke diskutierten die Kunden, vor sich ein Glas Wein oder einen Espresso, über dies und jenes und erfanden die Welt neu. Einige waren in die Lektüre des Parisien vertieft, andere füllten die Scheine für Lotto oder Pferderennen aus. Viele Gespräche drehten sich um die nächsten Präsidentschaftswahlen: Würde Sarko bleiben? Hatte die Linke einen besseren Kandidaten?
Sie wählten einen Tisch in einer etwas weniger lauten Ecke. Madeline bestellte einen doppelten Espresso, und Takumi ließ sich von einem fettigen Kebab in Versuchung führen.
»Na, sag mal, mir hältst du Moralpredigten wegen meiner Zigaretten, dabei solltest du auf dein Cholesterin achten!«
»Ich bin allen Kulturen gegenüber offen«, rechtfertigte sich Takumi und biss kräftig in sein Sandwich.
Madeline zog ihre Handschuhe aus, öffnete den Parka und angelte Jonathans Smartphone heraus.
»Sie haben es ja immer noch nicht zurückgeschickt«, stellte der Japaner fest.
»Du bist ein aufmerksamer Beobachter.«
»Im Grunde wundert mich das nicht weiter.«
»Und stört es dich?«, fragte sie.
»Nein, ich war sicher, dass Lempereurs Geschichte Sie interessiert …«
Besänftigt reichte sie ihm nach kurzem Zögern ein Blatt, das sie letzte Nacht ausgedruckt hatte.
Neugierig griff Takumi danach und las:
JONATHAN LEMPEREUR VON SEINEM BESTEN FREUND VERRATEN
Innerhalb weniger Tage hat der berühmteste Küchenchef seine Frau, sein Restaurant und seinen besten Freund verloren. Die Geschichte eines doppelten Betrugs
(PEOPLE – 3. Januar 2010)
»Ich wusste gar nicht, dass Sie solche Zeitschriften lesen«, erklärte Takumi und setzte seine Brille auf.
»Erspar mir deine dummen Bemerkungen, ja?«
Die vier Fotos, die den Artikel illustrierten, ließen keinen Zweifel zu. Sie waren am 28. Dezember 2009 auf den Bahamas aufgenommen worden und zeigten Francesca in Begleitung eines gewissen George LaTulip. Das Paar war in einem kleinen Winkel des Paradieses namens Cable Beach von einem Paparazzo verewigt worden. Obwohl die Fotos heimlich gemacht worden waren, hatten sie durchaus etwas Ästhetisches. In heller Baumwolle gekleidet, lief das Exmannequin Hand in Hand mit ihrem Liebhaber über den weißen Sandstrand, am glitzernden, türkisfarbenen Wasser entlang. In aller Vertraulichkeit lächelten und flirteten sie, als wären sie allein auf der Welt. Auf dem letzten Foto küssten sich die beiden Turteltauben zärtlich auf der Terrasse eines Cafés.
Die Bilder hatten etwas von Glamour und Vintage , das an die Calvin-Klein-Werbung der Neunzigerjahre erinnerte.
Wenngleich die Skandalpresse normalerweise eher geneigt war, die Fehltritte der Männer aufzudecken, war sie hier gegenüber Francescas »Sünden« nicht gerade zurückhaltend gewesen. Man muss gestehen, dass in dieser heuchlerischen und dualistischen Welt alle Zutaten vereinigt waren, um dem Betrug den Anschein einer antiken Tragödie zu geben. Auf der einen Seite die untreue Frau von fataler Schönheit, die ans Ende der Welt gereist war, um ihren Ehemann mit dessen bestem Freund zu hintergehen. Auf der anderen Seite der treue Gemahl, der in New York geblieben war, um sich um den Sohn zu kümmern und das gefährdete Restaurant zu retten. Und last but not least wurde die Rolle des Liebhabers von diesem George LaTulip gespielt. Ein gut aussehender Bursche, der trotz seines lächerlichen Namens eine beeindruckende Ähnlichkeit mit Richard Gere in seinen besten Jahren hatte.
Las man den Artikel etwas eingehender, dann begriff man, dass George LaTulip bei Jonathan im Imperator angestellt war: Er war sein engster Mitarbeiter, aber auch sein Freund. Ehe er Jonathan getroffen hatte, war George von einem Casting zum anderen gelaufen und hatte nebenbei an einem der Rollwägen, von denen es in New York nur so wimmelt, Hotdogs verkauft. Jonathan hatte einen Riecher für die Begabung von Menschen. Er hatte George ausgebildet und schließlich zu seinem Stellvertreter gemacht, hatte ihm Stabilität, eine finanzielle Basis und einen Lebenslauf verschafft, die ihm bis ans Ende seiner Tage Arbeit sicherten. Und zum Dank hatte ihm George seine Frau geklaut …
»Was hältst du von der Sache?«
»Ich denke, dass Frauen manchmal Biester sein können«, erwiderte Takumi.
»Wenn solcher Blödsinn alles ist, was dir einfällt«, brummte Madeline, »werde ich dich
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