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Nachricht von dir

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Titel: Nachricht von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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aufmerksam die Wände des kleinen Zimmers, geschmückt mit Eintrittskarten und Programmen von Opern-, Theater- und Ballettaufführungen, die Alice besucht hatte: Carmen und Don Giovanni im Lowry Theatre, Die Glasmenagerie im Playhouse und Romeo und Julia in den Räumlichkeiten des BBC Philharmonic Orchestra.
    »Ist dieses Mädchen von einem anderen Stern oder was?«, fragte Jim.
    »Ja«, brummte Erin, »sie … sie war schon immer so. Dauernd mit ihren Büchern, ihrer Malerei und ihrer Musik beschäftigt … Ich frage mich, von wem sie das hat.«
    Bestimmt nicht von dir! , dachte Madeline.
    Die Ermittlerin war fasziniert von ihrer Entdeckung. Zu beiden Seiten des Schreibtischs hingen Reproduktionen von Gemälden: ein Selbstporträt von Picasso aus seiner blauen Periode und das berühmte Gemälde Le Verrou von Fragonard.
    Jim nahm sich die Bücher in den Regalen vor – durchweg klassische Romane und Theaterstücke.
    »Kennst du viele Jugendliche in Cheatam Bridge, die Gefährliche Liebschaften oder Die Brüder Karamasow lesen?«, fragte er und blätterte in den beiden Bänden.
    »Zumindest eine«, entgegnete Madeline abwesend.
    »Wen?«
    »Mich …«
    Sie verscheuchte die Erinnerung. Die Blessuren ihrer Kindheit waren noch nicht wirklich verheilt, und heute war nicht der geeignete Tag für Selbstmitleid.
    Sie streifte ein Paar Latexhandschuhe über, öffnete alle Schubladen und machte sich daran, das Zimmer genau zu inspizieren.
    Im Schrank fand Madeline Schokoplätzchen mit Vanillefüllung der Marke Oreo und etliche kleine Plastikflaschen mit Nestlé-Erdbeermilch.
    »Sie ernährt sich fast nur von Keksen, die sie in Milch taucht«, erklärte ihre Mutter.
    Alice war »gegangen«, ohne irgendetwas mitzunehmen. Ihre Geige lag auf dem Bett, ihr Computer, ein alter Mac mit beschädigtem Gehäuse, stand auf dem Schreibtisch, und ihr Tagebuch lag am Boden vor dem Bett. Neugierig schlug Madeline es auf und fand im Umschlag eine gefaltete Fünfzig-Pfund-Note.
    Erins Augen blitzten gierig auf. Ganz offensichtlich warf sie sich vor, nicht die Geistesgegenwart besessen zu haben, das Zimmer vor der Polizei zu durchsuchen.
    Schlechtes Zeichen , dachte Madeline. Wenn die Kleine weggelaufen wäre, hätte sie nicht so viel Geld zurückgelassen.
    Die Kriminaltechniker, die sie angefordert hatte, trafen ein. Sie beauftragte sie, im ganzen Haus Spuren zu sichern. Mit ihren Pinseln, Pulvern und Pinzetten nahmen die Männer überall Proben, die sie in kleinen Röhrchen verschwinden ließen. Während sie die wichtigsten Beweisstücke sicherten, schlug Madeline den Hefter auf, in dem das Mädchen einen Teil ihrer Schulaufgaben aufbewahrte: Ihre Noten waren hervorragend, und die Kommentare der Lehrer voll des Lobes.
    Alice hatte, um ihrem düsteren Alltag zu entkommen, einen kulturellen Schutzwall um sich herum errichtet. Bildung und Wissen als Bollwerk gegen Gewalt, Angst und Mittelmäßigkeit …
     
     
    Fünf Polizeiwagen parkten in der Farm Hill Road. Madeline wechselte ein paar Worte mit dem Chef der Spurensicherung, der ihr garantierte, in Alices Bürste genügend Haare für eine DNA -Analyse gefunden zu haben.
    An die Kühlerhaube eines Autos gelehnt, zündete sich die Kommissarin eine Zigarette an und starrte auf das Foto von Alice. Ein hübsches Mädchen, groß und schlank, das älter als vierzehn wirkte. Ihr Gesicht mit der hellen, durchscheinenden Haut und den diskreten Sommersprossen verriet ihre irische Abstammung. Die grau-grünen Augen waren mandelförmig und erinnerten an die Porträts von Modigliani. Sie drückten Überdruss aus und den festen Willen, ihre Schönheit zu verbergen, da ihr offensichtlich bewusst war, dass ihr diese in dem Milieu, in dem sie aufwuchs, mehr Ärger als Vorteile einbringen würde.
    Was konnte man vom Leben erhoffen, wenn die Ausgangsbedingungen so schwierig waren? Wie konnte man in diesem Elendsviertel, umgeben von all den Drogenabhängigen und Irren aufwachsen, ohne selbst verrückt zu werden?
    Vielleicht bist du doch abgehauen. Vielleicht hast du diese erbärmliche Gegend verlassen. Vielleicht wolltest du vor dieser unfähigen Mutter fliehen, die dir nicht einmal sagen kann, wer dein Vater ist.
    Doch letztlich glaubte sie nicht an dieses Szenario. Alice schien ein intelligentes und organisiertes Mädchen zu sein. Aus diesem Sumpf verschwinden? Sicher. Aber wohin? Mit wem?
     
     
    Madeline zündete sich an ihrer Kippe eine neue Zigarette an.
    Alices Zimmer hatte die Erinnerungen an ihre

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