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schlafen. Dann stellte derjenige, der die »Kamera« hielt, diese auf dem Nachtkästchen ab und trat selbst ins Bild. Es war ein männlicher dunkelhaariger Typ mit kantigem Gesicht und finsterem müdem Blick.
»Diesmal schaffst du es, Maddie …«, begann er mit tonloser Stimme.
Jonathan begriff sofort, dass es sich um Danny Doyle handelte …
Paris
Der Porsche Panamera hielt um kurz nach halb zwölf Uhr vor dem Restaurant. George LaTulip stieg aus und reichte dem Valet die Autoschlüssel.
Hinter ihrem Bistro-Fenster musterte Madeline ihn mit zusammengekniffenen Augen. Er war zwar älter als auf den Fotos, aber immer noch attraktiv: elegante Kleidung, athletische Figur. Schläfen leicht silbergrau.
Sie hatte beschlossen, sich Zeit zu lassen, um ihn eingehend zu beobachten. Angesichts der Uhrzeit, zu der er in sein Restaurant kam, war zu vermuten, dass er sich mehr um die Public Relations als um seinen Herd kümmerte. Sie war also sicher, dass er sich nach dem Mittagessen nicht lange aufhalten würde.
Je später es wurde, desto mehr füllte sich das Aiglon , in dem sie ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Der Wirt fragte, ob sie etwas essen wolle, und sie bejahte, um ihren guten Beobachtungsposten nicht zu verlieren. Sie bestellte das Tagesgericht. Die Karte war nicht dieselbe wie gegenüber, aber sie war so hungrig, dass sie ihre »Wurst aus Toulouse mit Thymian und karamellisierten Zwiebeln« mit wenigen Bissen verschlang.
Sie hatte die Polizeiarbeit vor Ort aufgenommen: die Verstecke, die heimlichen Observationen, die Spekulationen, das schnelle Essen … Dabei hatte sie sich eingeredet, einen Strich unter all das gezogen zu haben, doch die alten Reflexe kehrten zurück. Was wollte sie sich beweisen? Dass sie ihren Instinkt nicht eingebüßt hatte? Dass sie noch in der Lage war, ein Geheimnis zu entschlüsseln?
Die Sache erregte sie, machte ihr aber gleichzeitig Angst. Seit über zwei Jahren setzte sie alles daran, ihre Vergangenheit zu vergessen, von der sie heute, wie es schien, viel zu schnell wieder eingeholt wurde. Sie war wie ein Junkie oder Alkoholiker: Niemals ganz geheilt und bei der geringsten Versuchung gefährdet, rückfällig zu werden.
Bei der Erinnerung stiegen ihr plötzlich Tränen in die Augen. Den Kummer fernhalten. Nur nicht an Alice denken. Ihr letzter Fall hatte sie in den Abgrund gestürzt. Nach zweitägigem Koma war sie im Krankenhaus aufgewacht. Als sie die Augen aufschlug, hielt sie ihr Handy in der Hand. Noch leicht benommen betrachtete sie das Display, ohne zu verstehen. Auf dem Nachtkästchen lag neben einem schlichten Veilchenstrauß ein Umschlag, aus dem sie eine Visitenkarte zog.
Wir haben alle die Wahl
Pass auf Dich auf
Daniel
Sie wandte sich wieder dem Handy zu und stellte fest, dass jemand damit gefilmt hatte. Als sie die Wiedergabetaste drückte, sah sie Dannys Gesicht auf dem Display. Nie zuvor hatte sie ihn so erschöpft gesehen.
»Diesmal schaffst Du es, Maddie …«, begann er mit tonloser Stimme.
Diesmal schaffst Du es, Maddie, aber das wird nicht immer so sein. Ich kenne die Bullen, sie unterscheiden sich nicht wesentlich von Typen wie mir. Ich weiß, dass die meisten im Endeffekt denselben Weg einschlagen: den, der in die Finsternis führt, zu Gewalt, Leid, Obsession und Tod …
Ich weiß, dass Du mit Deiner Knarre schläfst. Ich weiß, dass Du von Angst beherrscht bist. Ich weiß, dass Deine Nächte unruhig sind, heimgesucht von Phantomen, Leichen und Dämonen. Ich kenne Deine Entschlossenheit, aber auch Deine dunkle Seite. Die hattest Du schon als Jugendliche, und Deine Arbeit hat sie noch verstärkt. Aber sie hat Dich auch in eine lebende Tote verwandelt. Du hast Deine Reinheit, Deine Frische und Dein Licht verloren. Das Einzige, was Dich jetzt noch motiviert, ist die Jagd. Im Grunde unterscheidest Du Dich nicht wesentlich von der Mutter dieses Mädchens, die von ihrer Crack-Pfeife abhängig ist. Du bist ein Aasgeier geworden, eine Süchtige, die ihre Jagd und Verhaftungen braucht, um ihren Adrenalinstoß zu bekommen. Das ist Dein Shoot, Dein Fix, Dein Flash. Damit betäubst Du Dich, und daran wirst Du krepieren …
Danny unterbrach sich, schien nach Worten zu suchen und zündete sich eine Zigarette an. Im Krankenhaus war das Rauchen natürlich streng verboten, doch solche Vorschriften waren für Normalsterbliche gemacht, nicht aber für jemanden wie Danny Doyle.
Du hast den Drang, die Wahrheit aufzudecken , fuhr
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