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blieb unbeirrt.
»Ich glaube auch, Sie sind gar nicht wirklich überzeugt, dass Bishop Alice getötet hat. Sie haben den Handzettel mit der Vermisstenanzeige in Ihrem Büro aufbewahrt, denn für Sie wird der Fall nie abgeschlossen sein. Ich bin sicher, dass Sie jeden Tag an Alice denken. Ich vermute auch, dass Sie insgeheim die Ermittlungen fortgesetzt und vielleicht sogar neue Fakten aufgedeckt haben. Keine Beweise, die eine Wiederaufnahme des Falls gerechtfertigt hätten, die Ihnen aber schlaflose Nächte bereitet haben …«
Flahertys Blick trübte sich. Aus der Fassung gebracht, lockerte er seinen Griff. Jonathan zog seine Jacke an, legte eine Zehn-Pfund-Note auf den Tisch und ging. Er lief ein paar Schritte im Regen und suchte dann unter dem Vordach einer Schule Schutz.
»Warten Sie«, rief Flaherty, der ihm nacheilte. »Sie haben gesagt, Sie hätten mir Neuigkeiten mitzuteilen.«
Die beiden Männer nahmen auf einer Holzbank Platz. Es waren Weihnachtsferien, und die Schule war menschenleer. Gewaltige Wassermengen, Blitz und Donner gingen auf das Viertel nieder und drohten, alles zu überschwemmen.
»Ich bin nicht der Weihnachtsmann«, sagte Jonathan. »Bevor ich Ihnen sage, was ich herausgefunden habe, will ich genau wissen, wie weit Sie mit Ihren Ermittlungen sind.«
Jim seufzte, willigte aber ein, den Stand der Dinge darzulegen:
»Sie haben recht. Obwohl der Fall abgeschlossen war, habe ich in meiner Freizeit bestimmte Spuren, die Madeline gefunden hatte, weiterverfolgt. Vor allem eine, die Alices Tagebuch betrifft und die uns damals verblüfft hat.«
»Warum?«
»Weil es nur Banalitäten und nichts wirklich ›Intimes‹ enthielt …«
»Haben Sie es auswerten lassen?«
»Ja, zunächst von einem Graphologen, der die Authentizität des Dokuments bestätigt hat, dann von einem Chemiker. Auch wenn es schwierig ist, neuere Dokumente zu datieren, geben handschriftliche Seiten über vieles Auskunft. Wussten Sie zum Beispiel, dass bestimmte Hersteller ihre Stifte mit einem ›chemischen Marker‹ versehen, anhand dessen man das Herstellungsjahr der Tinte feststellen kann?«
Jonathan schüttelte den Kopf. Jim fuhr fort:
»Tinte altert durch den Kontakt mit dem Papier. Ihre Bestandteile zersetzen sich in einzelne Produkte, die man durch Chromatographie und Rotlichtuntersuchung analysieren kann. Aber ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Der graphologische Bericht ist eindeutig: Die Einträge wurden von Alice verfasst, aber das Tagebuch, das sich über ein Jahr erstreckt, wurde in einem Zug geschrieben!«
Jonathan war sich nicht sicher, richtig zu verstehen. Der Kommissar erklärte, was er entdeckt hatte:
»Ich bin überzeugt davon, dass es sich um eine ›bereinigte Fassung‹ handelt, mit der Alice die Spuren verwischen wollte.«
»Das ist natürlich erstaunlich, aber nicht von besonderem Gewicht, nicht wahr?«
»Da ist noch etwas anderes. Das Musikinstrument, das man in ihrem Zimmer gefunden hat.«
»Ihre Geige?«
»Ja, Alice nahm seit sechs Jahren Unterricht bei Sarah Harris, einer bekannten Solistin, die das Mädchen während ihres kostenlosen Unterrichts in den Schulen entdeckt hatte. Da sie sehr begabt war, hat Miss Harris ihr eine handgefertigte Geige geschenkt. Das Instrument hat zwischen fünf- und siebentausend Euro gekostet …«
»Aber es ist nicht die Geige, die man in Alices Zimmer gefunden hat, nicht wahr?«
»Nein, ich habe sie schätzen lassen: Es handelt sich um ein billiges Modell, das in China hergestellt wurde und nichts wert ist.«
Eine irritierende Tatsache, das musste auch Jonathan zugeben. Hatte Alice die Geige vor ihrem Verschwinden verkauft? Auf alle Fälle hatte sie sie auf den Bildern, die die Überwachungskameras aufgenommen hatten, nicht bei sich gehabt.
»Ich habe mir den Kopf zermartert, verstehe aber die Logik nicht«, gestand Flaherty überdrüssig.
»Und sind Sie der Sache mit dem Herzen nachgegangen?«
»Sie halten mich offenbar für einen blutigen Anfänger! An was denken Sie? An eine Transplantation?«
»Zum Beispiel …«
»Natürlich habe ich das überprüft, was im Übrigen nicht weiter schwierig ist: Solche Operationen nimmt man nicht in einer Garage vor, und die geringe Anzahl an Spenderherzen verpflichtet zu vollständiger Transparenz. Ich bin die Liste der Jugendlichen durchgegangen, die in den Monaten nach Alices Verschwinden ein neues Herz bekommen haben. Es sind nur ein paar Dutzend. Sie sind alle identifiziert worden und haben sich an
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