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den offiziellen Weg gehalten, von Alice aber keine Spur.«
Jonathan öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks und zog eine Plastikhülle mit zwei beschriebenen und schokoladenbefleckten Papierservietten hervor.
»Was ist das?«, fragte Jim und versuchte, durch die Hülle zu lesen.
Er erkannte die Schrift, die ihm inzwischen vertraut war. Die ersten Zeilen lauteten:
Lieber Mr Lempereur, oder besser, lieber Jonathan, ich habe mir erlaubt, die Patronen aus Ihrem Revolver zu entfernen und in den Papierkorb des Parkplatzes zu werfen, während Sie Ihren Kaffee tranken …
»Schicken Sie diese Servietten in Ihr Labor. Versuchen sie, die Fingerabdrücke auswerten zu lassen.«
»Erzählen Sie mir mehr über die Sache«, verlangte der Kommissar.
»Sehen Sie sich an, was auf der anderen Seite steht, dann werden Sie es verstehen.«
Flaherty drehte die Hülle, die Stirn gerunzelt, um: Mitten auf jeder Serviette stand in goldenen Lettern geschrieben: Total wünscht Ihnen ein gutes Jahr 2010 .
»Das ist unmöglich. Zu diesem Zeitpunkt war Alice bereits seit sechs Monaten tot!«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie die Ergebnisse haben«, erwiderte Jonathan und reichte ihm seine Karte.
»Warten Sie! Fliegen Sie zurück nach San Francisco?«
»Ja«, log Jonathan, »meine Maschine geht heute Abend, ich muss mich um mein Restaurant kümmern.«
Er erhob sich und lief im Regen zu seinem Wagen, drehte den Schlüssel um, schaltete die Scheibenwischer ein und fuhr los. Er war ganz mit den Neuigkeiten beschäftigt, die Flaherty ihm anvertraut hatte. Die Sache mit dem Tagebuch und der Geige … In Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass er auf der rechten Seite fuhr. Plötzlich kam ihm ein Bus entgegen. Jonathan stieß einen Schrei aus, riss das Lenkrad mit aller Kraft nach links und dann wieder nach rechts. Er verlor eine Radkappe und zerkratzte den Kotflügel.
Aber er lebte und kam mit einem gewaltigen Schrecken davon.
Paris
16:30 Uhr
»Du besuchst Juliane in London?«, rief Raphael. »Einfach so, aus einer Laune heraus?«
»Das wird mir guttun«, antwortete Madeline.
Sie hatten sich in einem kleinen Café in der Rue Pergolèse bei Raphaels Architekturbüro verabredet.
»Wann fährst du?«
»Heute Abend um achtzehn Uhr dreizehn mit dem Eurostar.«
»Aber in drei Tagen ist Weihnachten!«
Sie versuchte, ihn zu beruhigen.
»Nun mach nicht so ein Gesicht. Bis zum Heiligen Abend bin ich zurück.«
»Und dein Geschäft? Ich dachte, du hättest gerade jetzt die meiste Arbeit?«
»Hör zu«, erklärte sie aufgebracht, »ich habe Lust, meine Freundin in England zu sehen, das ist alles! Wir leben nicht im Jahr 1950, und ich werde nicht deine Erlaubnis einholen.«
Plötzlich verlor sie die Geduld, stand auf und verließ das Café. Verblüfft bezahlte Raphael und holte sie an dem nächsten Taxistand ein.
»So habe ich dich noch nie erlebt«, sagte er beunruhigt. »Hast du Sorgen?«
»Nein, Liebling, es ist nichts. Ich brauche nur eine kleine Auszeit, okay?«
»Okay«, meinte er und half ihr, die Tasche im Kofferraum zu verstauen. »Rufst du mich an, wenn du angekommen bist?«
»Natürlich«, erwiderte sie und gab ihm einen Kuss.
Er beugte sich zu dem Fahrer und sagte: »Zum Gare du Nord, bitte.«
Der Wagen fuhr an. Madeline winkte, Raphael warf ihr eine Kusshand nach.
Als das Taxi an der Place de l’Étoile angekommen war, erklärte sie dem Chauffeur:
»Vergessen Sie den Gare du Nord, ich fahre nach Roissy, Terminal eins.«
Madeline legte der Stewardess der Linie Air China ihren Pass und ihr Ticket vor. Zur Ferienzeit waren alle Flüge nach San Francisco ausgebucht oder wahnsinnig teuer. Für unter tausend Euro hatte sie im Internet nur diesen Hinflug gefunden. Eine Blitzreise nach Kalifornien, die einen kleinen Zwischenstopp in Peking erforderte.
Sie ging durch die verglaste Fluggastbrücke, die zu dem Flugzeug führte. Alte Jeans, Rollkragenpulli und Lederblouson: Das Bild, das ihr die verspiegelten Scheiben zeigten, war nicht gerade feminin. Sie war ungekämmt und nicht geschminkt und wirkte fast ungepflegt.
Dieser »Knitter-Look« entsprach dem Chaos, das in ihrem Kopf herrschte.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Raphael belogen hatte. Er war ein vorbildlicher Mann, verantwortungsbewusst und aufmerksam. Er kannte ihre Vergangenheit und richtete nicht über sie. Durch ihn hatte sie wieder zu Ausgeglichenheit und Selbstvertrauen gefunden. Sie hatte nicht das
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