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Nachricht von dir

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Titel: Nachricht von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Weihnachten. Da arbeiten alle Dienststellen sicherlich nur auf Sparflamme. Rufen Sie ihn morgen früh wieder an.«
    »Hmm«, machte Madeline. »Wissen Sie schon, wo ich schlafen kann? Denn ich warne Sie, ich bin hundemüde und …«
    »Keine Sorge: Wir gehen zu Claire.«
    »Claire Lisieux, Ihr Sous-Chef im Imperator ?«
    »Ja. Sie hat nicht weit von hier eine Wohnung. Ich habe sie bereits um Asyl gebeten. Sie ist über Weihnachten nicht in New York, das trifft sich gut.«
    »Wo arbeitet sie zurzeit?«
    »In Hongkong, in einem Restaurant von Robuchon.«
    Madeline musste niesen. Jonathan reichte ihr ein Papiertaschentuch. Alice lebt vielleicht noch … dachte sie, und ihre Augen begannen zu leuchten. Aufgewühlt durch Jonathans Enthüllungen, versuchte sie, ihre innere Stimme zum Schweigen zu bringen und ihre Erregung zu zähmen. Bevor sie keine hieb- und stichfesten Beweise hatte, durfte sie sich nicht in etwas hineinsteigern.
    »Vorsicht, heiß!«, rief Alberto und trat mit der Spezialität des Hauses an ihren Tisch – zwei Hamburger in knusprigem Brot, dazu kleine Zwiebeln, Cornichons und Bratkartoffeln.
    Im Norden von Greenwich Village, an der Ecke University Place und 14th Street gelegen, war Alberto ’ s eines der letzten authentischen Diners von Manhattan. Durchgehend geöffnet, war dieses wie ein Speisewagen eingerichtete Restaurant mit seinem nostalgischen Flair vor allem Anziehungspunkt von Nachtschwärmern, die die köstlichen Omelettes, French Toasts, Hamburger, Waffeln und Pancakes genossen.
    Der Italo-Amerikaner stellte einen Milchshake vor jeden Teller.
    »Heute Abend seid ihr meine Gäste. Nein, Jonathan, keine Widerrede! Das wird übrigens wohl das letzte Mal sein …«
    »Warum das?«
    »Mich hat es jetzt auch erwischt!«, erwiderte Alberto und deutete auf ein Plakat an der Wand.
    Darauf wurde den Gästen mitgeteilt, dass aufgrund einer enormen Pachterhöhung das Restaurant im Frühjahr seine Pforten würde schließen müssen.
    »Das tut mir leid«, sagte Jonathan.
    »Ach was! Ich eröffne irgendwo etwas Neues«, versicherte Alberto gut gelaunt und entfernte sich erneut Richtung Küche.
    Kaum hatte er den Tisch verlassen, stürzte sich Madeline auf ihr Sandwich.
    »Ich krepiere vor Hunger«, gestand sie und biss gierig in ihr Special One .
    Jonathan, der genauso hungrig war, folgte ihrem Beispiel. Während sie mit gutem Appetit aßen, entspannten sie sich in der angenehmen Atmosphäre des Restaurants, einem Ort außerhalb der Zeit, in dem Art-déco-Elemente, blitzender Chrom und Resopalmöbel ein harmonisches Ganzes bildeten. An der Wand hinter der Theke hingen Fotos mit persönlichen Widmungen – von Woody Allen bis zum Bürgermeister von New York, die hier schon köstliche Arancini genossen hatten. Ganz hinten im Raum spielte die Jukebox Famous Blue Raincoat, einen der schönsten, wenn auch finsteren und geheimnisvollen Songs von Leonard Cohen.
    Aus dem Augenwinkel beobachtete Jonathan, wie die Engländerin ihren Hamburger verschlang.
    »Komisch, als ich Sie das erste Mal gesehen habe, hätte ich schwören können, Sie wären eine sture Vegetarierin, die sich nur von Salatblättern ernährt.«
    »Und wie Sie sehen, trügt der Schein wieder mal …«, entgegnete Madeline lächelnd.
    Es war nach ein Uhr nachts. Sie saßen sich auf Lederbänken gegenüber und genossen diese kleine Atempause. Trotz der Müdigkeit hatten beide den Eindruck, aus einem langen Winterschlaf zu erwachen. Seit mehreren Stunden ließ ein Adrenalinstoß ihr Blut schneller durch die Venen fließen. Jonathan hatte sich aus der Erstarrung und Bitterkeit befreit, die ihn seit zwei Jahren gefangen hielt. Was Madeline betraf, so hatte sie aufgehört, sich einzureden, dass ihr kleines geregeltes Leben sie gegen ihre Dämonen schützte.
    Dieser geteilte Moment war für die beiden das »Auge des Zyklons«, die Ruhe vor der Rückkehr eines Sturms, der noch brutaler und zerstörerischer werden konnte. Sie bedauerten ihre Entscheidungen nicht, doch sie wussten, dass das, was vor ihnen lag, unbekanntes Terrain war: die Leere, die Fragen, die Angst … Was würde morgen sein? Wohin würden ihre Nachforschungen sie führen? Wären sie ihnen gewachsen, oder würden sie noch lädierter daraus hervorgehen?
    Eines der beiden Handys, die auf dem Tisch lagen, vibrierte. Automatisch hatten sie ihre Smartphones nebeneinandergelegt. Es war das von Jonathan, das angerufen wurde, doch es war der Vorname » RAPHAEL «, der auf dem Display

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