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unterdrückte ein Gähnen und erhob sich, um Kaffee zu kochen, ehe er sich an die Auswertung der Pressearchive machen würde. Dort müsste er zwangsläufig eine Erklärung für das Geheimnis finden. Nach einer Stunde stieß er auf einen eigenartigen Artikel der Daily News :
BAHAMAS:
LEICHE EINES INVESTORS IM MAGEN EINES HAIS GEFUNDEN
Ein Sportsegler, der an diesem Donnerstag vor der Columbus Isle zum Fischen ausgelaufen war, machte in seinen Netzen eine makabere Entdeckung. Als er einen Hai an Deck zog, spie dieser einen großen Knochen aus, der dem eines menschlichen Oberarms ähnelte. Verwirrt rief er die Küstenwache zu Hilfe, die den Bauch des Tiers aufschlitzte und darin weitere Teile eines menschlichen Skeletts fand, darunter ein Stück vom Brustkorb und eine Partie des Kiefers.
Mittels einer DNA-Analyse konnte die Polizei der Bahamas den Toten identifizieren. Es handelte sich um den amerikanischen Businessman Lloyd Warner, Vizepräsident der Hotelkette Win Entertainment. Von dem Fünfundvierzigjährigen, der zuletzt am 23. Dezember in einer Boutique am New Yorker Flughafen gesehen wurde, fehlte seither jegliches Lebenszeichen.
Jonathan traute seinen Augen nicht. Lloyd Warner war seit zwei Jahren tot, und er erfuhr erst heute davon! Lloyd Warner, der Finanzdirektor der Win Entertainment … Der Mann, der durch seine Weigerung, der Imperator-Gruppe die Verbindlichkeiten zu stunden, zu seinem Sturz beigetragen hatte. Mit einem Schlag war die Erinnerung an die schlimmste Zeit seines Lebens wieder präsent: der Teufelskreis der Verschuldung, der Konkurs seiner Firma, die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen Francesca zu kämpfen hatte bei dem Versuch, die Übernahme durch Warner und seine Aasgeier abzuwehren – ihren ehemaligen Verbündeten, aus denen Feinde geworden waren.
Spielte seine Exfrau in ihrer E -Mail an George auf diesen Artikel an? Hatte sie etwas mit Warners Tod zu tun? Aber mit welchem Ziel – hatte doch sein Ableben den Ruin der Firma nicht verhindern können?
Durch seine Entdeckung aus der Fassung gebracht, druckte Jonathan den Artikel aus und schrieb schnell eine Nachricht für Madeline auf eine Wandtafel. Dann zog er seinen Mantel an und griff nach dem Autoschlüssel, der neben der Tür hing.
Gleich bei ihrer Ankunft hatte Jonathan Claires mandelgrünen Smart gesehen, der auf einem kleinen Privatweg geparkt war. Draußen war es eiskalt. Während er den Motor laufen ließ, hörte er im Radio die Kurznachrichten:
» … heute in Kalifornien Fortsetzung des Prozesses gegen die Mexikanerin Jezebel Cortes, die Erbin eines bedeutenden Drogenmoguls. Sie trägt den Spitznamen »La Muñeca« und ist die Tochter des Paten … «
Aber ihm war nicht danach zumute, sich die Litanei aller Katastrophen dieser Welt anzuhören. Er schaltete das Radio aus und fuhr über die Grove Street. Er kannte sich in New York noch gut aus und nahm einen Weg, den er Hunderte von Malen gefahren war, als sie noch hier gewohnt hatten.
Inmitten des Stroms der gelben Taxis bemerkte er im Rückspiegel den schwarzen Ferrari. Auch als er noch reich gewesen war, hatte er sich nie besonders für Autos interessiert. Aber dieser Wagen war eine Ausnahme. Sein Vater hatte ihn ihm zu seinem fünften Geburtstag als Miniatur geschenkt: ein 250 GT California Spyder. Einer der seltensten und schönsten Autos der Geschichte, von dem nur ein gutes Dutzend in den Sechzigerjahren gebaut worden war. Er hatte kaum Zeit, den Kopf zu drehen, als der Spyder rechts an ihm vorbeizog und mit Vollgas Richtung SoHo raste.
Völlig verrückt …
Auch wenn TriBeCa eine der teuersten Gegenden von New York war, hatte sich Jonathan hier nie wirklich wohlgefühlt, da es dem Viertel für seinen Geschmack an Charme und Atmosphäre mangelte.
Er nahm den erstbesten Parkplatz in der Nähe des Hauses, in dem seine Exfrau wohnte. Das Excelsior , eine eindrucksvolle Residenz aus den Zwanzigerjahren, hatte fünfzehn Stockwerke. Später hatten sich die Immobilienmakler des Art-déco-Gebäudes angenommen, es renoviert und in Hightech-Lofts umgewandelt, die einer reichen Klientel angeboten wurden.
»Hallo, Eddy«, rief Jonathan, als er die Halle betrat.
Der Portier in seiner braunen Uniform mit den goldenen Tressen brauchte einige Sekunden, um ihn zu erkennen.
»Mr Lempereur! Was für eine Überraschung …«, rief er dann und rückte seine Schirmmütze zurecht.
»Ich möchte zu Francesca. Können Sie ihr sagen, dass
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