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Nachricht von dir

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Titel: Nachricht von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Alice versuchte, Ruhe zu bewahren.
    Atme durch die Nase! Jetzt bloß keine Panik!
    Sie würde nicht sterben. Jedenfalls nicht sofort. Wenn dieser Mann sie hätte töten wollen, so hätte er es längst getan. Sicherlich würde er sie auch nicht vergewaltigen. Ein Irrer, der nur einen einfachen Trieb befriedigen wollte, wäre nicht in ein derart gut bewachtes Gebäude wie das der Juilliard School eingedrungen.
    Wer war dieser Mann? Etwas war ihr aufgefallen: Er hatte mit seiner Waffe nicht auf ihre Brust gezielt, sondern auf den Bauch.
    Er weiß, dass ich eine Transplantation hinter mir habe und dass Elektrostöße in Herznähe tödlich sein können …
    Ohne die Beweggründe ihres Entführers zu kennen, hatte Alice schon jetzt begriffen, dass ihre Vergangenheit sie noch heute Abend einholen würde.
    Um eine Polizeikontrolle zu vermeiden, fuhr der Mann extrem vorsichtig und achtete darauf, die Geschwindigkeit nicht zu überschreiten. Sie hatten den äußersten Westen erreicht und folgten dem Hudson River in Richtung Süden. Sie waren inzwischen seit einer guten Viertelstunde unterwegs, als der Pick-up in den Brooklyn-Battery-Tunnel fuhr.
    Schlechtes Zeichen, wir verlassen Manhattan.
    Sie hatten gerade die Mautstelle passiert, als das Mobiltelefon des Unbekannten ertönte. Er hob gleich nach dem ersten Klingelton ab, und da das Gerät mit einer Freisprechanlage versehen war, konnte Alice den größten Teil des Gesprächs mitverfolgen.
    »Nun, Juri?«, fragte die Stimme.
    »Bin schon unterwegs. Ist alles nach Plan gelaufen«, verkündete er mit einem starken russischen Akzent.
    »Du hast sie hoffentlich nicht zu übel zugerichtet.«
    »Hab mich genau an die Anweisungen gehalten.«
    »Okay. Du weißt, was dir noch zu tun bleibt?«
    »Ja«, erwiderte der Russe.
    »Vergiss nicht, sie zu durchsuchen und nachher den Wagen verschwinden zu lassen.«
    »Verstanden.«
    Die Stimme am Telefon … das war die von … nein, das war unmöglich  …
    Mit einem Mal wurde ihr alles klar. Ihr Herz begann noch schneller zu schlagen, denn sie hatte begriffen, dass die Gefahr weit größer war, als sie sich vorgestellt hatte.
    Sie geriet derart in Panik, dass sie erneut an ihrem Knebel zu ersticken drohte. Sie zwang sich, langsam zu atmen. Sie musste unbedingt etwas versuchen.
    Mein Handy!
    Es steckte in der hinteren Tasche ihrer Trainingshose. Sie drehte sich unauffällig ein Stück zur Seite, um es herauszuziehen. Ihre gefesselten Handgelenke aber erschwerten jede Bewegung, zumal Juri sie überwachte und ständig in den Rückspiegel schaute. Mit viel Geduld und Hartnäckigkeit konnte sie es schließlich herausangeln. Blind hatte sie bereits die ersten Ziffern des Notrufs gewählt, als der Dodge plötzlich eine Vollbremsung machte. Das Mobiltelefon entglitt ihren Händen und rutschte unter die Rückbank.
    Der Russe verfluchte den Motorradfahrer, der das Rotlicht missachtet hatte.
    Eingeschnürt, wie sie war, konnte Alice nichts mehr tun: Ihr Handy war definitiv außer Reichweite.
    Sie fuhren noch eine gute Viertelstunde, erneut in Richtung Süden. Aber wohin? Sie war fest davon überzeugt, dass sie Brooklyn bereits seit einer Weile verlassen hatten. Schließlich las sie auf einem Schild Mermaid Avenue – das war eine der Hauptverkehrsadern von Coney Island.
    Für einen Moment, als sie ein Polizeiauto auf der Surf Avenue patrouillieren sah, keimte Hoffnung in ihr auf. Die beiden Bullen aber parkten vor einem Nathan ’ s Famous , um sich Hotdogs zu genehmigen. Von ihnen konnte sie also keine Hilfe erwarten.
    Der Russe bog in eine dunkle Sackgasse, schaltete die Scheinwerfer aus, rollte im Schritttempo bis zu einem heruntergekommenen Gebäude und zog den Zündschlüssel ab.
    Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, öffnete er eine der Türen des Wagens, um das Mädchen herauszuholen.
    Mit einem Messer durchtrennte er die Nylonfesseln an ihren Fußgelenken.
    »Los!«
    Alice vernahm das Rauschen der Wellen und atmete die salzige Luft ein. Sie befanden sich in einem trostlosen heruntergekommenen Areal ganz in der Nähe des Atlantiks. Auf der Halbinsel herrschte eine düstere Stimmung, fern von den Wolkenkratzern Manhattans und dem bunten Treiben in den Szenevierteln von Brooklyn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Coney Island jedoch einen gewaltigen Vergnügungspark beherbergt, der mehrere Millionen Touristen aus allen Teilen der USA anlockte. Seine Karussells vibrierten im Rhythmus der Refrains. Sein Riesenrad

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