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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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Oh my god ... omg ... omg ... Den dritten Preis ... ach ich geb´s auf. Je länger ich hier surfe, desto verzweifelter werde ich.
    Aber den Extra-Preis für Extra-Blödheit, den vergebe ich schnell noch und den bekommt der Typ, der hier weder ein Foto noch einen Text eingestellt hat. Vom ihm weiß man nur, dass er 58 Jahre alt ist, einen Beruf hat (welchen verrät er nicht) und dass er real existiert (zumindest sollte man davon ausgehen können, weil das Datingcafé ja die Eintragungen überprüft, schreiben sie). Tja, dieses Fahrrad muss nun womöglich bis an sein Lebensende ohne ein neues Fischlein auskommen und fragt sich vermutlich auf immer und ewig wieso. Und in dieser ganzen Verzweiflung kommt plötzlich ein Lichtblick. Skype blinkt. Paul. Es ist Paul. Paul skypt mich an.
     
    Paul: hi wieso meldest du dich eigentlich nie?
    Was spielen wir hier eigentlich? Verdrehte Welt? Ich melde mich nicht, und das muss ausgerechnet Paul mir vorwerfen? Paul, der gesagt hat, ich soll Geduld haben beim Skypen? Ich verstehe die Welt nicht mehr.
    Ich: ich melde mich nicht?
    Paul: du hast letztes Mal aufgelegt und dich nie mehr gemeldet.
    Ich fasse es nicht, ich sterbe hier vor Warterei und übe mich in Geduld und nun wirft Paul mir vor, ich melde mich nicht.
    Ich: hab dir ne nachricht auf facebook geschickt
    Paul: stand aber nicht wirklich was drin
    Ich: stimmt - sry
    Paul: und wie gehts dir?
    Ich: g ut und dir?
    Paul: g ut und die schneekoenigin
    Ich: wohnt immer noch im eispalast
    Paul: faehrt sie auch schlittschuh?
    Ich: nur nachts bei vollmond
    Paul: und bei neumond
    Ich: bei neumond nicht, bei neumond is zu dunkel
    Paul: hab dir ne nachricht auf facebook geschickt
    Jetzt merke ich, mein Herz setzt richtig einen Schlag aus. Paul hat mir nicht nur eine Nachricht auf Facebook geschickt, er kündigt sie auch noch beim Skypen an. Tja wenn‘s regnet, regnet´s aber auch gleich richtig.
    Ich: ok
    Paul: c u later
    Ich: yep
    Ich gehe also sofort zu Facebook, und da ist doch tatsächlich eine Nachricht von Paul in meiner Facebook-Fangbox.
    Ich besuche im Mai meine Mutter in Deutschland und ich war noch nie in Portugal, und da wollte ich schon immer mal hin. Und da dachte ich, vielleicht komme ich einfach mal vorbei und besuche dich. Natürlich nur, wenns dir passt. Erst Portugal, dann Deutschland. Was meinst du? Big hugs Paul
    Jetzt ist der Ball wieder bei mir, und zwar gleich doppelt, und es ist auch noch ein ziemlich großer Ball, geradezu eine Art Medizinball, und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ich mit diesem Ball anfangen soll. Natürlich möchte ich, dass Paul mich besucht. Na, auf keinen Fall möchte ich, dass Paul mich besucht. Ich bin für Paul doch nur noch eine Erinnerung, er kennt mich kaum, wir sind einmal auf Grouse Mountain gewesen und im Stadtpark und das Ganze ist auch schon drei Monate her. Aber wenn Paul hier ist, richtig hier, im Alltagsleben, und dann sieht er mich so, wie ich bin, ich meine mein Alter, den Altersunterschied und alles und überhaupt.
    Er wird meine Wohnung sehen, es ist eine schöne Wohnung, sehr gemütlich, mit vielen Pflanzen, aber es ist keine junge Wohnung. Ganz anders als die von Paul. Paul mit seinem Einzimmerappartement in Kitsilano, wo die Küchenzeile und das Bett nur fünf Meter auseinanderstehen, wenn überhaupt, und das Herzstück der Küche die Mikrowelle ist. Ich weiß nicht.
    Und dann, was wenn Paul mich im Bad sehen würde. Meinen Körper zum Beispiel. Und die lange Narbe am Knie. Oder beim Zähneputzen im Bad, womöglich, was wenn Paul reinkommen würde und er würde sehen, mir fehlt der Zahn. Das tarne ich ja sonst, denn niemand soll sehen, dass mir der Zahn fehlt, und ich weiß, dass das sehr undankbar ist, denn wenn man frontal in einen Laster fährt und die einzigen Langzeitschäden sind ein ausgeschlagener Vorderzahn, eine Narbe am Knie und ein Autobahn-Trauma, dann hat man doch wirklich richtig Glück gehabt. Es hätte uns ja viel schlimmer treffen können. Wir hätten verstümmelt sein können. Verkrüppelt. Wir hätten tot sein können.
    Das waren meine ersten Worte nach dem Unfall, als wir da standen und die Welt sich drehte: Mein Gott, ich habe uns umgebracht. Und Jan hat gesagt, nein das überleben wir. Und so ist es ja auch gewesen, obwohl die Versuchung schon da war, es einfach nicht zu überleben, denn wir wussten ja schon von der Krankheit und irgendwie wäre das natürlich eine Lösung gewesen. Jedenfalls denkt man das. Zumindest für einen kleinen

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