Nachrichten an Paul
weiter mit Miguel unter einer Decke. Ich liege in seinem Arm und kann nicht verhindern, dass meine Hand ein bisschen nach unten gleitet und da kann er mir erzählen, was er will, er will mit mir schlafen, das ist offensichtlich. Miguel fängt meine Hand wieder ein und holt sie nach oben.
„Lass den Unsinn“, sagt er und küsst meine Hand. „Es sei denn, es ist dir ernst.“
Ich nehme meine Hand wieder zu mir und schlage die Bettdecke zurück. Ich stehe auf und gehe zur Tür. Ich bin auf dem Weg in mein Gästezimmer, wo ich ganz offensichtlich ja auch hingehöre.
„Weißt du Anna“, sagt Miguel jetzt. „Ich glaube, ihr Frauen vergesst das manchmal, aber Männer haben auch Gefühle.“
*
Als ich wieder zu Hause bin, brauche ich eine Weile, um das alles zu verdauen, und dann sage ich mir: Jetzt ist aber Schluss damit. Aber richtig. Aber hallo.
Kein Miguel mehr, kein Paul mehr. Und ein Hans-Dieter sowieso nicht, das ist ja eh klar. Ich werde ein ruhiges zurückgezogenes Leben führen. Das Schicksal hat mich zu einer Witwe gemacht, also werde ich eine würdige Witwe sein. Dona Ermelinda sagt, ich bin unabhängig und habe mein Auto und kann damit überall rumfahren und das werde ich jetzt auch tun. Ich werde Ausflüge machen und alleine in Restaurants essen. Ich werde ab jetzt meinen Weg alleine gehen. Erst dreißig Jahre zusammen und jetzt dreißig Jahre alleine. Das ist doch auch eine Balance, irgendwie. Und ich brauche auch nicht Agathe zu fragen, ob das die richtige Entscheidung ist, denn es ist die richtige Entscheidung. Das weiß ich einfach. Das spüre ich. Schluss jetzt mit diesem Chaos. Ich werde ab jetzt eine Frau sein, die ihre Frau steht, und zwar alleine.
Als Erstes werde ich einen Ausflug machen. Und zwar nach ... ich hole mir die Karte und schließe die Augen. Ich lasse den Finger fallen und der Finger fällt auf Coimbra. Ich werde einen Ausflug nach Coimbra machen. Ich akzeptiere die Wahl des Fingers, obwohl die Wahl schlecht ist. Seit dem Unfall bin ich nie wieder nach Coimbra gefahren, denn auf dem Weg nach Coimbra bin ich verunglückt. Aber das war das alte Leben und das hier ist das neue Leben und damit fange ich jetzt an.
Ich fahre auf der A 25 und alles scheint ganz gut zu gehen. Auf der A 25 bin ich neulich schon mal gefahren, nach Aveiro, als ich die Asche ins Meer gestreut habe. Die Panik hält sich eigentlich in Grenzen. Ich atme tief durch. Gibt es da nicht diese Verhaltenstherapie, wo man den Patienten dem aussetzt, was seine Panik verursacht und dann ist es irgendwann gut? Und bestätigt meine Fahrt auf der A 25 hier jetzt nicht diese Regel? Na bitte. Ich setze mich jetzt den Autobahnen aus bis irgendwann gut ist, bis ich wieder überholen kann und auf der linken Spur fahren und nicht mehr bei jedem Laster zusammenzucke. Ich schaffe die ganze A25 und biege auf die A 1 ein, Richtung Lissabon, Coimbra und habe damit schon die halbe Strecke geschafft. Mehr als die halbe Strecke, sogar. Da ist schon die Ausfahrt nach Cantanhede, bald bin ich in Coimbra. Na bitte.
Und dann geht es plötzlich los. Aber mit voller Wucht. Ich spüre es im Magen, ich spüre es überall. Mir bricht der Schweiß aus und mir wird schlecht. Die Panik hat mich jetzt voll im Griff. Ich bleibe auf der rechten Spur und fahre möglichst langsam. Die ersten Laster überholen mich. Die ersten Autos hupen. Ich bin ein Verkehrshindernis. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich möchte hier runter, bitte, runter, und zwar sofort. Aber da ist keine Ausfahrt. Und jetzt fängt es auch noch an zu regnen, es regnet, es regnet so wie damals bei dem Unfall, ich werde verunglücken, ich werde die Autobahn nicht mehr lebend verlassen, die Bilder kommen wieder hoch und ich bin schweißgebadet, und mein Magen tut weh, aber Gott sei Dank, da vorne ist eine Raststätte, da vorne ist endlich eine Raststätte und da fahre ich jetzt hin und da werde ich für den Rest meines Lebens bleiben müssen, denn ich werde ja nie wieder runterfahren können, nicht wahr.
Ich suche mein Handy und rufe Clara an. Ich sage, Clara hilf mir, und Clara sagt, was ist denn los und wo bist du denn und bleib, wo du bist, ich komme, so schnell ich kann. Und dann steige ich aus und setze mich auf den Rasen, und bleibe da, wo ich bin, so wie Clara gesagt hat und es regnet auf mich herunter, der Regen kühlt mich ab. Meine Kleider werden nass und kleben an meiner Haut. Meine Haare werden nass und kleben an meinem Kopf. Ich bin nass, nass, nass,
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