Nachrichten an Paul
aber es macht mir nichts aus. Ich bin eine Statue, ich meditiere, ich will nicht mehr.
Da kommt Miguels dunkelblauer Octavia und Miguel und eine Frau steigen aus. Und da kommt Clara mit ihrem Mini und steigt aus. Ich bleibe einfach sitzen, ich bin eine Statue, ich meditiere mein Schicksal aus. Was immer kommt, ich nehme es hin, denn was anderes bleibt mir ja auch gar nicht übrig, denn so ist das mit dem Schicksal, nicht wahr. Miguel sagt zu Clara, danke, dass du mich angerufen hast, und ich denke, wieso hat Clara eigentlich Miguels Telefonnummer, aber dann fällt mir ein, sie haben sich ja bei mir getroffen, natürlich bei mir, und ich bin es ja auch, die Nicki zu Paul geschickt hat, und ich bin es, die dafür gesorgt hat, dass Franciscos Frau die volle Wahrheit erfährt, so ist es, egal was wir tun, es hat Folgen und ich will das nicht mehr, und deswegen tue ich nichts mehr, ich bleibe hier einfach sitzen, und dann kann auch nichts mehr passieren, nicht wahr.
„Hopp, komm hoch“, sagt Miguel und er und Clara ziehen mich hoch und bringen mich zu Miguels Auto. Sie legen mich auf die Rückbank und Miguel zieht mir meine nassen Sachen aus. Ist noch nicht lange her, da wollte ich, dass mir Miguel meine Sachen auszieht, aber doch nicht so, doch nicht so. Clara gibt ihm trockene Sachen, aus ihrem Kleiderschrank, ganz offensichtlich, denn es ist eine Streifenhose und ein überbunter Pulli. Und Helena, so heißt die andere Frau, macht ihre Arzttasche auf und hört mich ab und dann zieht Miguel mich an.
„Ich bringe Anna nach Hause“, sagt Miguel. „Helena fährt Annas Auto nach Hause und holt die Medikamente. Und dann treffen wir uns da, okay?“
Clara nickt und dann fahren wir los. Im Konvoi bis zur ersten Ausfahrt, wo wir wenden können und dann bin ich irgendwann zu Hause und im Bett und Helena, die Ärztin ist, sagt, es ist vermutlich eine ziemlich schlimme Erkältung und sie gibt mir Antibiotika, die muss ich regelmäßig nehmen, sonst wird´s womöglich noch eine Lungenentzündung. Und ich soll im Bett bleiben.
Aber das ist völlig okay, denn ich will auch nirgendwo mehr hin. Bett ist gut, finde ich.
*
Ich liege im Bett, ich denke, vielleicht sterbe ich jetzt doch einfach, ich folge Jan, dann sind wir wieder zusammen. Denn so, wie es jetzt ist, kann ich ja irgendwie auch nicht leben, mein Herz ist zerbrochen und zerstückelt, kein Wunder, dass die Lunge es nicht schafft, den Sauerstoff in alle zerstückelten Ecken zu transportieren und überfordert ist und ich immer husten muss.
Aber nach ein paar Tagen geht´s mir besser, das habe ich den Antibiotika zu verdanken und der guten Pflege. Dona Ermelinda bringt mir jeden Tag eine stärkende Suppe und hat sogar eins von ihren Hühnern umgebracht, damit die Suppen auch so richtig stärkend sind. Sie kocht mir Tee aus frischem Rosmarin, der riecht gut und schmeckt scheußlich, soll aber gut für die Lunge sein, also trinke ich ihn brav.
Meine Mutter ruft mich täglich per Videocall an und passt auf, dass ich auch meine Medikamente nehme, und sagt, na, was machst du denn für Sachen und wie kann man sich denn so erkälten im Mai? Aber das möchte ich lieber nicht so recht erklären. Ich sage: Sowas passiert eben, weiß auch nicht wieso.
Und als ich gerade mit meiner Mutter am Bildschirm rede, kommt Dona Ermelinda rein und dann reden sie zusammen, die beiden, mehr mit Zeichen als mit Sprache, aber immerhin.
Und mir wird klar: Diese Frauen, die haben wirklich was mitgemacht. Meine Mutter ist ein Flüchtling aus Schlesien, das war eine ganz andere Welt, damals, und dann sind sie drei Wochen in diesen Eisenbahnwaggons in ein neues Leben gefahren, mit nicht viel mehr als, was sie auf dem Leib trugen. Und Dona Ermelinda hat schon als Kind barfuß hier auf den Feldern gearbeitet und schon früh ihrer Mutter beim Sammeln fürs Feuerholz geholfen, denn nur so gab´s warmes Essen, indem man Feuerholz sammelte. Und wenn ihnen jemand damals erzählt hätte, dass man sich über ein kleines Gerät mit einem anderen Menschen unterhalten kann, über tausende von Kilometern, und das mit Bild und Ton, dann hätten sie das doch für eine von Münchhausens Lügengeschichten gehalten.
Miguel fährt nach drei Tagen, er muss zurück nach Hause, er fliegt morgen nach Vancouver.
„Was ist das bloß mit diesem Vancouver“, sage ich.
„Konferenz über Stadtplanung“, sagt Miguel. „Total interessant. Die Zukunft unserer Städte.“
„Versprichst du mir was?“, frage
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