Nachrichten an Paul
so lange verheiratet zu sein?“
„Ja, das weiß ich“, sage ich. „Ich war dreißig Jahre lang verheiratet.“
„Und“, sagt Michaela. „Was ist passiert? Hat er Sie verlassen?“
„Ja und nein“, sage ich. „Er ist gestorben.“
„Tut mir leid“, sagen die Drei beinahe gleichzeitig.
„Vor gut über einem Jahr“, sage ich. „Und niemand kann sich den Schmerz vorstellen.“
Jetzt gucken sie alle drei etwas bedröppelt.
„Und das ist vermutlich auch gut so“, sage ich.
Die anderen sagen nichts.
„Kann ich noch eine Cola kriegen?“, fragt die Prinzessin.
Maria steht auf und geht zum Kühlschrank. Sie gibt Lena eine Cola.
„Es gibt vermutlich keine wirklich gute Lösung“, sagt Maria schließlich.
„Lassen Sie ihn mir noch eine Nacht“, sagt Michaela zu Maria. „Eine einzige Nacht. Und dann verschwinde ich aus eurem Leben und ihr seht mich nie wieder.“
Ich dolmetsche. Maria zögert ein bisschen. Sie schenkt allen noch Wein nach. Sie sieht erst Michaela an und dann Francisco.
„Gut“, sagt sie. „Eine Nacht. Und morgen bekomme ich ihn zurück und Sie verschwinden aus meinem Leben.“
„Hallo?“, sagt Francisco. „Was ist mit mir? Werde ich überhaupt nicht gefragt? Was ich will?“
„Du fragst ja auch nicht bei allem, was ich will, oder?“, sagt Maria.
„Ich bin müde“, sagt Lena. „Ich will nach Hause.“
„Ich bin auch müde“, sagt Michaela. „Ich will auch nach Hause.“
Und damit ist es irgendwie entschieden. Michaela steigt zu uns ins Auto und wir bringen sie zum Bahnhof von Mangualde. Ein verschlafener Beamter öffnet den Schalter und packt seine Kasse aus und wir warten geduldig, bis er alles einsortiert hat, erst die Münzen und dann die Scheine, und dann kauft sich Michaela eine Fahrkarte für den Morgenzug nach Lissabon. Wir gehen in das Café auf dem Bahnsteig und sind die ersten Gäste.
Lena und ich steigen ins Auto. Es ist noch dunkel. Es ist ein frischer Morgen, es wird ein heißer Tag werden.
„Ich muss pinkeln“, sagt die Prinzessin.
Das kommt bestimmt von der ganzen Cola. Und während die Prinzessin pinkelt, suche ich mein Handy und stelle es wieder an, denn das hat dieser Francisco doch einfach abgestellt. Sofort piept es mehrmals. Fünf verpasste Anrufe und drei Nachrichten. Alle von der derselben Nummer. Einer neuen Nummer. Wer kann das sein? Ich lese die Nachrichten.
Nachricht eins: Clara ist verschwunden bitte um Rückruf dringend Rui
Nachricht zwei: Anna bitte rufen Sie mich an Clara verschwunden mache mir Sorgen Rui
Nachricht drei: jederzeit egal wie spät bitte Rui
Ich seufze und wähle Ruis Nummer. Ich kenne Rui nur aus Claras Erzählungen. Ich weiß, dass er derjenige welcher ist. Der Mann, wegen dem Clara nach Viseu gezogen ist. Der Mann, der sich nicht scheiden lässt. Der Mann, der sie immer wieder versetzt, weil irgendwas dazwischen kommt. Und meistens hat es mit seiner Frau zu tun.
Rui erwartet uns vor Claras Wohnung. Er ist ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe. Ist ja eigentlich ja auch merkwürdig, dass ich ihn bis heute noch nie getroffen habe, obwohl ich Clara nun schon fünf Jahre kenne. Ich weiß von ihm, dass er Musiklehrer ist und in seiner Freizeit Jazz spielt. Tenor-Saxophon. Und dass er verheiratet ist, natürlich. Dass er einen Sohn hat, der in Coimbra im vierten Semester Jura studiert und eine Tochter, die Krankenschwester ist und in Viseu im Krankenhaus arbeitet. Im Hospital São Teotónio. Und dass er sich eigentlich von seiner Frau trennen will, es aber nicht auf die Reihe kriegt. Rui sieht sehr nett aus, er wirkt viel jünger und sportlicher als ich ihn mir vorgestellt habe. Er hat graue Haare, etwas gelockt, und er trägt eine Kette aus kleinen Holzperlen um den Hals, fast so etwas wie ein Amulett. Er ist ganz leger, in Jeans und kurzärmeligem Hemd, keine Krawatte oder so was. Er steht vor Claras Wohnblock und sieht immer wieder auf die Uhr. Und er wirkt sehr erleichtert, als wir kommen. Ich parke das Auto und die Prinzessin und ich steigen aus.
„Rui?“, frage ich.
„Anna?“, sagt Rui.
Ich stelle ihm Lena vor und frage ihn, was eigentlich los ist. Clara ist weg, sagt Rui. Sie waren zum Abendessen verabredet, um die Trennung von seiner Frau zu feiern. Und sie wollten alle Einzelheiten zu besprechen. Wie es denn jetzt werden soll und wo sie hinziehen wollen, wie es ablaufen soll. Ob sie in Claras Wohnung zusammenleben wollen. Oder ob sie sich eine neue Wohnung mieten sollen.
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