Nachrichten an Paul
Vielleicht eine größere Wohnung. Vielleicht ein Haus am Stadtrand. Einfach die Logistik, die so ein Umschwung in der Beziehung eben mit sich bringt. Das wollten sie bei einem guten Essen besprechen. Und deswegen war er mit ihr im Restaurante O Pátio verabredet. Aber Clara ist nicht gekommen.
„Sie wollen sich also in der Tat von Ihrer Frau trennen?“, sage ich.
„Ich habe mich schon von meiner Frau getrennt“, sagt Rui. „Und zwar vor einer Woche. Wundert mich, dass Clara Ihnen nichts erzählt hat.“
Wundert mich auch. Ehrlich gesagt.
Langsam kriege ich ein schlechtes Gewissen, dass ich die Prinzessin zu all dem hier mitschleppe, was wird sie da für einen Eindruck vom Erwachsenen-Sein bekommen. Aber auf der anderen Seite, mit einer Mutter auf Liebesurlaub in Cancún und Paul in Nickis Wohnung und mit dem, was sie so im Fernsehen sieht, weiß sie vermutlich eh, wie das Leben so läuft.
„Wir sollten uns duzen“, sagt Rui. „Ist ja praktisch so, als ob wir uns schon lange kennen. Hab so viel von dir gehört.“
„Und ich so viel von dir“, sage ich.
„Hast du versucht sie anzurufen?“, frage ich.
Was eine doofe Frage ist, denn bestimmt hat er das.
„Am Telefon ist der Anrufbeantworter“, sagt Rui. „Am Handy ist die Mailbox.“
„Und sie macht auch die Tür nicht auf?“, sage ich.
„Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand in der Wohnung ist“, sagt Rui. „Ich bin seit Stunden hier, da war kein Licht.“
„Clara hat mir gar nicht erzählt, dass ihr zusammenziehen wollt“, sage ich.
„Clara ist überhaupt sehr merkwürdig, seit ich mich von meiner Frau getrennt habe“, sagt Rui.
Wir sehen hoch zu Claras Appartment. Die Fenster sind dunkel. Aber das sind sie in allen Wohnungen. Langsam wird es hell, bald wird die Sonne aufgehen.
„Hast du dein Saxophon dabei?“, frage ich.
„Ich habe immer mein Saxophon bei mir“, sagt Rui.
„Dann spiel doch einfach was“, sage ich. „Und dann gucken wir mal, was passiert.“
Rui sieht mich erst etwas ungläubig an und einen Moment denke ich, gleich sagt er zu mir: Verarschen kann ich mich alleine. So wie Michaela vorhin. Aber dann nickt er.
„Vielleicht hast du recht“, sagt er.
Er geht zu seinem Auto und holt sein Tenor-Saxophon. Er packt das Saxophon aus und fängt an zu spielen. Orfeu Negro. Es ist ein stiller Samstagmorgen. Und jetzt schwebt Manhã de Carnaval über allem. Die Melodie aus diesem alten Film, diese wunderbare Melodie, die auf einem Tenorsaxophon so richtig gut kommt. Auch bekannt unter dem Titel: A day in the life of a fool . Tja.
Nach einer Weile gehen in den ersten Fenstern die Lichter an. Gesichter erscheinen in den Fenstern. Fenster werden aufgemacht. Ein Mann droht uns mit der Faust. Klar – es ist Samstag. Es ist früh. Und er wollte vermutlich ausschlafen. Eine Frau wiegt ihr Baby im Arm und hört uns verträumt zu.
Plötzlich steht Clara neben uns. Wir haben sie überhaupt nicht kommen gehört. Sie trägt einen ganz schlichten dunkelblauen Bademantel. Ich habe sie noch nie so einfarbig gesehen.
„Also gut“, sagt Clara. „Alle mit nach oben.“
Rui setzt das Saxophon ab. Ein paar Leute klatschen. Der Mann, der uns erst mit der Faust gedroht hat, zeigt uns jetzt einen Vogel. Die Frau mit dem Baby macht das Fenster zu. Die anderen Fenster werden auch geschlossen und hinten über der Serra de Estrela kommt langsam die Sonne hoch.
Wir fahren mit Clara im Fahrstuhl hoch. Keiner sagt was. Das Prinzesschen sieht müde aus. Ich vermutlich auch. Rui auch. Nur Clara, die sieht verschlafen aus.
Clara setzt die Kaffeemaschine in Gang und wärmt Milch auf, für die Prinzessin.
„Also gut“, sagt Clara. „Was verschafft mir die Ehre?“
Na also wirklich Clara. Ich muss schon sagen.
„Du bist gestern Abend nicht zu unserer Verabredung gekommen“, sagt Rui.
„Weißt du, wie oft du nicht zu unseren Verabredungen gekommen bist?“, fragt Clara.
„Das ist was anderes“, sagt Rui.
„Ach ja?“, sagt Clara.
„Ja“, sagt Rui.
Clara schenkt uns allen Kaffee ein und stellt eine Packung Bolacha Maria auf den Tisch, diese schlichten aber leckeren portugiesischen Kekse, die einfach immer wieder gut sind. Lena bekommt eine warme Milch. Ich stippe einen Keks in meinen Kaffee.
„Ich musste nachdenken“, sagt Clara.
„Aber über was denn“, fragt Rui. „Was ist denn los? Ich dachte, jetzt ist alles in Ordnung. Ich habe meine Frau verlassen, die Scheidung ist eingereicht.“
„Genau das ist es
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