Nachrichten aus einem unbekannten Universum
garantieren ein verträgliches Klima, bauen organische Substanzen ab und überführen kleine wie große Kadaver zurück in den Kreislauf der Natur. Es sind die Mikroben, die unsere Erde vor dem Klimaschock bewahren.
Führen Sie sich folgendes Szenario vor Augen: Wir befinden uns im Golf von Mexiko, in 700 Meter Tiefe. Hier hausen Bakterien, die beim Knacken von Methan (Bakterienfrühstück) Schwefelwasserstoff ausscheiden. Ein rosa Würmchen namens Hesiocaeca methanicola, das uns im dritten Teil des Buches noch öfter begegnen wird, hat Schwefelwasserstoff zum Fressen gern und frisst die Bakterien gleich mit. Allerdings nicht, um sie zu verdauen. Stattdes- sen lebt es in Symbiose mit ihnen. In seinem Inneren und auf seiner Außenhülle finden die Bakterien Schutz, dafür versorgen sie den Wurm mit seiner Leib- und Magenchemikalie.
So führt das Würmlein ein beschauliches, ereignisloses Leben — bis zu dem Tag, an dem eine große Raubschnecke des Weges geglitscht kommt und es frisst. Damit hat die Schnecke nicht nur einen Wurm erbeutet, sondern zudem einige hunderttausend Einzeller. Das ist ihr schnuppe, ebenso wie es den Tiefseetintenfisch wenig interessiert, der sich zwei Stunden später die Schnecke einverleibt und damit gewissermaßen auch den Wurm mitsamt Mikroben. Weil der stark süßwasserhaltige Tintenfisch das Interesse gewisser Meeressäuger auf sich zieht, die ihn als quabbeligen Drink schätzen, landet er kurze Zeit später im Rachen eines Pottwals — dem damit nicht nur ein schmackhafter Kopffüßer, sondern auch eine fette Schnecke, ein zuckendes Würmchen und etliche Kleinstlebewesen zuteil wurden. Und dieser Wal nun stößt sich beim Auftauchen seinen Klotzkopf, der Dussel! Im Ernst, auch so was passiert. Tankerkapitäne wundern sich, warum sie trotz voller Fahrt nur schleppend vorankommen, bis sie im Hafen feststellen, dass sie unterwegs einen Wal gerammt und hunderte von Kilometern vor sich hergeschoben haben. Unser Pottwal jedenfalls knallt gegen den Bug eines Bananenfrachters und begibt sich auf astrale Pfade, während sein Körper dem Dunkel des Hadals entgegensinkt. Kaum aufgeschlagen, blasen die Einzeller Halali und zerlegen den Koloss in Fingerfood. Stimmt, Herr Biologielehrer, der Große frisst den Kleinen, aber am Ende fressen die ganz Kleinen die ganz Großen. Und das ist fürwahr ein Segen, andernfalls würden sich um uns herum die Verblichenen bis in den Himmel stapeln.
Ernährungsgeflechte heißen nicht umsonst Geflechte. Im Wassertropfen etwa wird kreuz und quer gefressen, von oben nach unten und umgekehrt. Jeder vertilgt jeden, keine Spur von Disziplin. Wie auch bei einem Durcheinander ohne Beispiel? Professor Farooq Azam von der Scripps Institution of Oceanography in San Diego, der Meerwasser wie kein anderer unter die Lupe nimmt, hat nicht nur Millionen und Milliarden tierischer Mikroben, Bakterien, Viren und Algen darin entdeckt, sondern auch deren Wohnviertel. Die Winzlinge machen es sich in den Maschen einer Netzstruktur aus Makromolekülen gemütlich, klebrige Zuckerverbindungen, Polymere, Kolloide und Desoxyribonukleinsäure. »Unter dem Mikroskop sieht man Bündel von transparenten Fäden, Häuten und Filmen«, sagt Azam. »Sie machen das Wasser zu einem dünnen Gel.«
Ein Gel, aha. Da reist man auf die Malediven in Erwartung klaren blaugrünen Wassers, um festzustellen, dass man sich in Sülze aalt. Jeder Milliliter birgt laut Azam eine Infrastruktur aus über 300 Kilometern Proteinen, mehr als fünfeinhalbtausend Kilometern Polysacchariden und zwei Kilometern DNS-Verbindungen. Dazwischen belauern einander ganze Mikrobenheere, von denen einige aktiv auf Jagd gehen. Pfiesteria piscicida etwa, eine hochtoxische Alge, verpuppt sich in einen zystenartigen Mantel aus Gallerte und erstarrt darin, mitunter für Jahre. In dieser Zeit braucht die Alge keinerlei Nahrung. Eines Tages aber zieht ein Schwarm Fische direkt über die verpuppte Algenkolonie hinweg, und plötzlich kommt Leben in die mikroskopisch kleinen Räuber. Sie lösen sich zu Milliarden aus ihren Schutzhüllen und schrauben sich dem Schwarm entgegen. Dabei lassen sie eine Geißel wie einen Propeller rotieren, mit einer weiteren Geißel bestimmen sie die Richtung, bis sie die Fische erreicht haben und das große Schlachten seinen Lauf nimmt. Das Gift der Pfiesteria lähmt die Nerven ihrer Beute und zersetzt deren Gewebe. Während die Alge aus den klaffenden Wunden wertvolle Nährstoffe saugt, sterben die Fische
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