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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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unter Qualen. Gesättigte Pfiesterien ziehen sich auf den Meeresgrund zurück und kapseln sich wieder ein — bis zum nächsten Essen auf Flossen.
    Viele Bewohner des Wassertropfenuniversums verfügen über ähnlich raffinierte Antriebsmechanismen. Sie trudeln nicht tumb umher, sondern agieren äußerst effizient und zielgenau. Dabei kommt es praktisch pausenlos zu komplexen biochemischen Reaktionen. Inmitten dieser organischen Brühe aus Fressen und Gefressenwerden leben die größeren, für uns wahrnehmbaren Wesen — und leben nur, weil die Mikroben sie lassen.
    Strahlentierchen und anderen Kleingeistern ist nicht bewusst, welche Rolle sie im Ökosystem einnehmen. De facto verdanken wir ihnen unsere Existenz. Ohne die weltumspannenden Algenpopulationen wären wir längst an den rund sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid eingegangen, die wir der Atmosphäre jedes Jahr aufbürden — zumindest säßen wir japsend im Treibhaus. Doch drei Milliarden Tonnen davon speichern die braven Algen. Damit erfüllen sie die Funktion winziger Umweltpolizisten, die manches bei sich behalten, anderes verarbeiten und wieder in den Kreislauf zurückführen. Eigentlich ist jeder Ozean ein Meer aus Kohlenstoff. Ungeheure Mengen des Grundbausteins allen Lebens sind darin gebunden, das Zehnfache dessen, was sämtliche Pflanzen und Tiere in sich vereinen. Azam glaubt, dass sich unser Planet in einen Dampfkochtopf verwandeln würde, sollten die Bakterien je auf die Idee kommen, auch nur ein Zehntel des im Meerwasser gelösten Kohlenstoffs zu knacken und als CO 2 in die Atmosphäre zu entlassen. Beruhigend zu wissen, dass Bakterien an akuter Ideenlosigkeit leiden. Sie reagieren unbewusst, haben uns also nur scheinbar in der Hand.
    Genau das aber könnte sich als Riesenproblem erweisen.
    Wenn nämlich Menschen die herrschenden Bedingungen ändern, werden sich die fleißigen Regulatoren diesen anpassen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Folgen das für die Menschheit haben könnte. Gelangt weiterhin zu viel Kohlendioxid in unsere Atmosphäre, verklappen wir zunehmend Chemikalien, Industrieabfälle und giftige Substanzen im Meer, breiten sich noch mehr Ölteppiche aus und wandert Nuklearmüll unkontrolliert in angeblich sichere Tiefen, wird das Ökosystem, dem wir unser Leben verdanken, ganz allmählich in Schieflage geraten. Immer sind es die Einzeller, die als Erste reagieren. Viele dürften natürlich sterben. Ein solches Sterben haben Wissenschaftler vor der Küste Kaliforniens beobachtet. Dort war die Konzentration des Zooplanktons in weniger als vierzig Jahren auf unter 20 Prozent des ursprünglichen Werts geschrumpft. Dafür hatte sich das Oberflächenwasser um zwei Grad erwärmt. Als Folge gelangten aus den tieferen Schichten keine Nährstoffe und Mineralien mehr nach oben, das Plankton blieb aus, Plankton fressende Vögel verschwanden, ganze Fischpopulationen, die auf die Mikrobenschwärme angewiesen waren, ebenfalls.
    Andere Mikroben hingegen könnten von Veränderungen profitieren, indem sie neu entstandene Verwertungsketten nutzen. Dass sie dabei ein weiteres Mal unsere Atmosphäre umkrempeln, können wir als gesichert betrachten. Nicht auszuschließen, dass der Mensch dabei ein schmähliches Ende findet. Erinnern wir uns der Sache mit dem Sauerstoff. Zufällig vertragen wir ihn prächtig. Andere vertrugen ihn nicht, für sie war Sauerstoff ein tödliches Gift. Verlassen wir uns also nicht auf Miss Evolutions Mutterinstinkt. Sie hat keinen, und der Natur ist es egal, ob Menschen in ihr leben oder nicht. Der Mensch kann die Welt nicht zerstören. Er kann nur seine eigene Welt zerstören.
    Um bildlich zu verstehen, welche Bedeutung den Mikroben zukommt, müssen wir den Wassertropfen samt seiner Bewohner lediglich hochrechnen. Wollten wir eine einzelne Kieselalge wiegen, müssten wir schon eine sehr feine Waage mitbringen. Sämtliche Meeresalgen zusammen wiegen hingegen die Gesamtmasse aller Bäume, Farne, Gräser und sonstiger Pflanzen des Erdballs mehr als auf. Nur die Algen, wohlgemerkt! Damit ist noch nichts gesagt über tierische Einzeller aus unserem Wassertropfen. Nachdem Sie nun wissen, wie zahlreich Kieselalgen, Panzeralgen, Strahlen- und Rädertierchen darin vertreten sind, können Sie spaßeshalber ausrechnen, wie viele Tropfen in einen Liter passen. Allein Prochlorococcus marinus, eine blaugrüne Halbalge von 0,0007 Millimeter Länge, bringt es in einem einzigen Tropfen auf viele Millionen Exemplare.
    Und

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