Nachrichten aus Mittelerde
waren, blieben Aldarion und Erendis zurück. Sie schauten in die Runde, sahen unter sich die ganze Insel des Westens grün im Frühling liegen, sahen den Schimmer von Licht im Westen, wo in weiter Ferne Avallóne lag 17 und im Osten die Schatten über dem Großen Meer; und der Menel ragte blau über ihnen auf. Sie sprachen kein Wort, denn niemand, der König ausgenommen, spricht auf der Höhe des Meneltarma. Doch als sie hinunterkamen, blieb Erendis einen Augenblick stehen und blickte nach Emerië und weiter zu den Wäldern ihrer Heimat.
»Liebst du Yôzâyan nicht?«, fragte sie.
»Ich liebe es wirklich«, erwiderte er, »obwohl ich glaube, dass du zweifelst. Ich denke freilich auch daran, was in den kommenden Zeiten daraus werden könnte, und aus der Hoffnung und dem Glanz seines Volkes. Und ich glaube, dass ein Geschenk nicht ungenutzt im Hort liegen sollte.«
Doch Erendis widersprach und sagte: »Solche Geschenke, wie sie von den Valar kommen, und durch diese von demEinen, sollen um ihrer selbst willen geliebt werden, in diesem Augenblick und in allen Augenblicken. Sie wurden nicht geschenkt, um sie gegen größere oder bessere zu tauschen. Die Edain bleiben sterbliche Menschen, Aldarion, so groß sie auch sind: Und wir können nicht in der Zeit leben, die kommen soll, damit wir nicht unsere Gegenwart an ein Trugbild unserer eigenen Zukunftspläne verlieren.« Dann nahm sie plötzlich den Edelstein von ihrem Hals und fragte Aldarion: »Würdest du wollen, dass ich diesen Stein eintausche, um mir andere Dinge zu kaufen, nach denen mich verlangt?«
»Nein!«, sagte er. »Aber du verschließt ihn nicht in der Schatzkammer. Doch ich glaube, du überschätzt den Stein, denn er verblasst vor dem Glanz deiner Augen.« Darauf küsste er sie auf die Augen, und in diesem Augenblick legte sie ihre Furcht ab und nahm seinen Antrag an; und ihr Verlöbnis wurde auf dem steilen Pfad des Meneltarma besiegelt.
Dann gingen sie nach Armenelos zurück, und Aldarion stellte Tar-Meneldur Erendis als die Verlobte des Königserben vor. Der König war hocherfreut, und in der Stadt und auf der ganzen Insel wurden Freudenfeste gefeiert. Meneldur gab Erendis als Verlobungsgeschenk ein schönes Fleckchen Land in Emerië und ließ dort für sie ein weißes Haus bauen. Doch Aldarion sagte zu ihr: »In meiner Schatzkammer habe ich andere Edelsteine, Geschenke von Königen in fernen Ländern, denen die Schiffe von Númenor Beistand geleistet haben. Ich besitze Steine, grün wie das Licht der Sonne auf den Blättern der Bäume, die du liebst.«
»Nein!«, sagte Erendis. »Ich habe mein Verlobungsgeschenk bekommen, obwohl ich es im Voraus erhielt. Es ist der einzige Edelstein, den ich habe und den ich haben wollte; und ich will seinen Wert noch erhöhen.« Da sah er, dass sie den weißen Stein als Stern in einen silbernen Stirnreif hatte fassen lassen, und auf ihre Bitte legte er ihn ihr um die Stirn. So trug sie ihnviele Jahre, bevor die Zeit des Leidens begann; und so war sie weit und breit als Tar-Elestirne bekannt, die Frau mit der Sternen-Stirn. 18
Also herrschte für eine Zeit Frieden und Freude im Hause des Königs zu Armenelos und auf der ganzen Insel. Und in alten Büchern ist aufgezeichnet, dass es in jenem Jahr einen goldenen Sommer von üppiger Fruchtbarkeit gab, welches das achthundertachtundfünfzigste Jahr des Zweiten Zeitalters war.
Aber von allen Leuten waren allein die Seeleute der Gilde der Wagemutigen nicht gänzlich zufrieden. Denn Aldarion war fünfzehn Jahre in Númenor geblieben und hatte keine Fahrt befehligt; und obgleich es mutige Kapitäne gab, die von ihm ausgebildet worden waren, waren ihre Reisen ohne den Reichtum und das Ansehen des Königssohnes weniger zahlreich, kürzer und führten selten weiter als bis zum Land Gil-galads. Außerdem war das Bauholz auf den Werften knapp geworden, denn Aldarion schonte die Wälder; und die Wagemutigen bestürmten ihn, die Holzfäller ihre Arbeit wieder aufnehmen zu lassen. Aldarion folgte ihrer Bitte, und zuerst wollte Erendis mit ihm in die Wälder gehen, doch der Anblick der Bäume, die man in ihrer Blüte fällte, behaute und zersägte, machte sie traurig. Bald zog Aldarion deshalb allein hinaus, und sie waren weniger oft beisammen.
Nun kam das Jahr heran, für das alle die Heirat des Königserben erwarteten, denn es war nicht Sitte, dass die Verlobung länger als drei Jahre dauerte. An einem Frühlingsmorgen dieses Jahres ritt Aldarion vom Hafen Andúnië
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