Nachrichten aus Mittelerde
unter der Kälte litten. Endlich ließen Seegang und Wind nach, doch als Aldarion gerade sehnsüchtig vom Bug der
Palarran
Ausschau hielt und vorab in weiter Ferne den Meneltarma erspähte, fiel sein Blick auf den grünen Zweig, und er sah, dass dieser verwelkt war. Da erschrak Aldarion, denn dergleichen war mit dem Zweig des
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noch niemals geschehen, solange er von der Gischt besprüht wurde. »Er ist gefroren, Kapitän«, sagte ein Matrose, der neben ihm stand. »Es ist zu kalt gewesen. Ich bin glücklich, den Pfeiler zu sehen.«
Als Aldarion Erendis aufsuchte, blickte sie ihn durchdringend an, doch sie ging ihm nicht zur Begrüßung entgegen; und er verharrte eine Weile und fand gegen seine Gewohnheit keine Worte. »Setze dich, mein Gebieter«, sagte Erendis, »und erzähle mir zuerst von allen deinen Taten. Du musst in diesen langen Jahren vieles gesehen und vollbracht haben!«
Da begann Aldarion zögernd zu erzählen, und sie saß schweigendda und hörte zu, während er die ganze Geschichte seiner Heimsuchungen und Verzögerungen erzählte, und als er schloss, sagte sie: »Ich danke den Valar, durch deren Gnade du schließlich zurückgekehrt bist. Aber ich danke ihnen auch, dass ich dich nicht begleitet habe, denn ich wäre eher verwelkt als ein grüner Zweig.«
»Dein grüner Zweig hat sich nicht absichtlich der bitteren Kälte ausgesetzt«, erwiderte er. »Doch wenn du willst, schicke mich nun fort; die Leute, denke ich, werden dich deswegen nicht schelten. Doch darf ich nicht hoffen, dass deine Liebe sich als stärker und dauerhafter erweisen wird als sogar der Zweig des
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?«
»Sie hat sich wirklich als stärker erwiesen«, sagte Erendis. »Sie ist noch nicht zu Tode erstarrt, Aldarion. Ach, wie könnte ich dich fortschicken, wenn ich dich wieder ansehe, der du zurückgekehrt bist wie die Sonne nach dem Winter!«
»Dann lass jetzt Frühling und Sommer beginnen«, sagte er.
»Und lass den Winter nicht zurückkehren«, fügte sie hinzu.
Dann wurde zur Freude Meneldurs und Almarinas die Heirat des Königserben für das nächste Frühjahr angekündigt; und so geschah es. Im achthundertsiebzigsten Jahr des Zweiten Zeitalters wurden Aldarion und Erendis miteinander verheiratet, in jedem Haus erklang Musik, und Männer und Frauen sangen in allen Straßen. Und danach ritten der Königssohn und seine Braut mit Muße über die ganze Insel, bis sie zur Sommersonnenwende nach Andúnië kamen, wo das letzte Fest von Fürst Valandil vorbereitet wurde. Alle Menschen aus dem Westland strömten dort zusammen, weil sie Erendis liebten und stolz darauf waren, dass eine Königin von Númenor aus ihrem Kreis kommen würde.
Am Morgen vor dem Fest hielt Aldarion Ausschau vom Fenster des Schlafzimmers, das auf das westliche Meer blickte.»Schau, Erendis!«, rief er. »Dort hält ein Schiff schnell auf den Hafen zu. Und es ist kein Schiff aus Númenor, sondern eines, auf das weder du noch ich jemals einen Fuß setzen werden, selbst wenn wir wollten.« Da blickte Erendis hinaus und sah ein großes weißes Schiff, das im Sonnenlicht von einer Wolke weißer Vögel umkreist wurde und dessen Segel silbern glänzten, als es mit Schaum vor dem Bug in den Hafen einlief. So segneten die Eldar Erendis’ Hochzeit, aus Liebe zum Volk der Westlande, das ihnen in engster Freundschaft verbunden war. 19 Ihr Schiff war mit Blumen zur Ausschmückung des Festes beladen, so dass alle, die dabei waren, bei Anbruch des Abends mit
elanor
20 und süßen
lissuin
bekränzt waren, deren Duft das Herz erquickte. Auch Spielleute hatten sie mitgebracht, Sänger, die Lieder von Elben und Menschen aus den längst vergangenen Tagen Nargothronds und Gondolins im Gedächtnis behalten hatten; und viele der edlen und freundlichen Eldar saßen unter den Menschen an den Tischen. Doch die Leute von Andúnië, die diese freudevolle Gesellschaft sahen, sagten, niemand sei schöner als Erendis. Und sie sagten auch, ihre Augen seien ebenso strahlend wie einst die Augen Morwen Eledhwens 21 oder gar die Avallónes.
Die Eldar brachten auch viele Geschenke. Aldarion überreichten sie einen Baumschössling, dessen Rinde schneeweiß war; und sein Stamm war gerade, kräftig und geschmeidig wie aus Stahl, doch er trug noch keine Blätter. »Ich danke euch«, sagte Aldarion zu den Elben. »Das Holz eines solchen Baumes muss wirklich kostbar sein.«
»Vielleicht. Wir wissen es nicht«, sagten sie. »Es ist niemals einer gefällt worden. Er trägt kühle
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