Nachrichten aus Mittelerde
hinauf, um die Straße zum Hause Beregars zu erreichen, denn dorthin war er zu Gast geladen, und Erendis war ihm von Armenelos aus über die Straßen im Landesinneren vorausgeritten. Als er den höchsten Punkt des mächtigen Steilufers erreichte, das weit aus dem Land vortrat und den Hafen vor den Nordwinden schützte,wandte er sich um und blickte aufs Meer zurück. Wie oft zu dieser Jahreszeit wehte ein Westwind, von denen geliebt, die im Sinn hatten, nach Mittelerde zu segeln, und weißkämmige Wogen rollten ans Ufer. Da packte ihn plötzlich das Verlangen nach dem Meer, als habe sich eine große Hand um seine Kehle gepresst, sein Herz schlug heftig, und der Atem stockte ihm. Er rang um seine Selbstbeherrschung, wandte sich endlich ab und setzte seine Reise fort; und mit Absicht nahm er den Weg durch den Wald, in dem er vor fünfzehn Jahren Erendis wie eine der Eldar hatte reiten sehen. Er erwartete beinahe, sie noch einmal so zu sehen; doch sie war nicht da, und der Wunsch, ihr Gesicht wiederzusehen, trieb ihn zur Eile, so dass er vor dem Abend zu Beregars Haus kam.
Dort hieß sie ihn freudig willkommen, und er war heiter; doch er sagte nichts über ihre Heirat, obwohl alle gedacht hatten, diese sei einer der Gründe für seine Reise in das Westland. Als die Tage vergingen, bemerkte Erendis, dass er nun in Gesellschaft, wenn andere fröhlich waren, in Schweigen verfiel; und als sie zu ihm hinüberschaute, sah sie plötzlich, dass seine Augen auf ihr ruhten. Da wurde ihr Herz schwankend, denn Aldarions blaue Augen erschienen ihr jetzt grau und kalt, doch hatte sie das Gefühl, als läge ein heftiges Verlangen in seinem Blick. Diesen Blick hatte sie vorher allzu oft gesehen und gefürchtet, was er ahnen ließ, doch sie sagte nichts. Núneth, die auf alles achtgab, was geschah, war darüber froh, denn »Worte können Wunden aufreißen«, wie sie zu sagen pflegte. Bald darauf ritten Aldarion und Erendis fort und kehrten nach Armenelos zurück, und als sie sich weiter vom Meer entfernten, wurde er wieder heiterer. Noch immer sagte er ihr nichts von seinem Kummer, denn er lag ernstlich mit sich selbst im Krieg und war unentschlossen.
So lief das Jahr dahin, und Aldarion sprach weder vom Meer noch von Heirat, doch er war oft in Rómenna und in der Gesellschaftder Wagemutigen. Schließlich, zu Beginn des nächsten Jahres, rief der König ihn in seine Gemächer, und sie begegneten sich unbefangen, und die gegenseitige Liebe war nicht mehr überschattet.
»Mein Sohn«, sagte Tar-Meneldur, »wann willst du mir die Tochter schenken, die ich so lange ersehnt habe? Mehr als drei Jahre sind nun vergangen, und das ist lange genug. Ich wundere mich, dass du eine so lange Wartezeit ertragen konntest.«
Da schwieg Aldarion, doch schließlich sagte er: »Es ist wieder über mich gekommen, Atarinya. Achtzehn Jahre sind eine lange Fastenzeit. Ich kann kaum noch im Bett liegen oder mich auf einem Pferd halten, und der harte Grund aus Stein verwundet meine Füße.«
Da wurde Meneldur betrübt, und er hatte Mitleid mit seinem Sohn. Doch dessen Kummer verstand er nicht, denn er selbst hatte Schiffe niemals geliebt, und er sagte: »Das tut mir leid! Doch du bist verlobt. Und nach den Gesetzen Númenors und nach der rechten Lebensart der Eldar und Edain soll ein Mann nicht zwei Frauen haben: Du kannst das Meer nicht heiraten, denn du bist mit Erendis verlobt.«
Da verhärtete sich Aldarions Herz, denn diese Worte riefen ihm das Gespräch mit Erendis während ihres Ritts durch die Wälder ins Gedächtnis; und er glaubte (aber zu Unrecht), dass sie seinen Vater zu Rate gezogen habe. Wenn er das Gefühl hatte, dass andere sich zusammentaten, um ihn auf einen ihnen genehmen Weg zu zwingen, war er immer geneigt, sich von diesem Weg abzuwenden.
»Schmiede dürfen schmieden, Reiter dürfen reiten und Bergleute graben, wenn sie verlobt sind«, sagte er. »Warum also dürfen Seeleute nicht segeln?«
»Wenn Schmiede fünf Jahre lang am Amboss blieben, würden nur wenige Frauen Schmiede heiraten«, entgegnete der König. »Es gibt nur wenige Seemannsfrauen, und diese tragenihr Los, denn es ist notwendig und sichert ihren Lebensunterhalt. Der Erbe des Königs ist weder Seemann des Geschäftes wegen, noch ist es eine Notwendigkeit für ihn.«
»Es gibt andere Bedürfnisse als den Lebensunterhalt«, sagte Aldarion. »Und es bleiben noch viele Jahre übrig.«
»Nein, nein«, sagte Meneldur. »Dir ist diese Gnade zum Geschenk gemacht worden, doch
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