Nachrichten aus Mittelerde
sprechen.«
»Hoher König!«, rief sie daraufhin. »Habe Nachsicht mit mir und lass mich erst sprechen. Ich saß in einem Baum, um Túrin fortgehen zu sehen. Und ich sah Saeros, wie er mit Schwert und Schild aus dem Wald kam und auf den ahnungslosen Túrin lossprang.«
Bei diesen Worten ging ein Raunen durch die Halle, und der König erhob die Hand und sagte: »Die Neuigkeiten, die du mich hören lässt, sind ernster, als zu erwarten war. Doch was du jetzt sagst, wäge genau ab, denn dies ist ein Gerichtshof.«
»Das hat Beleg mir gesagt«, erwiderte sie. »Und nur deshalb habe ich es gewagt herzukommen, damit Túrin nicht zu Unrecht verurteilt werde. Er ist rauh, aber er ist auch barmherzig. Die beiden kämpften, bis Túrin Saeros seines Schwertes und seines Schildes beraubte, doch er erschlug ihn nicht. Deshalb glaube ich nicht, dass er Saeros’ Tod wollte. Falls man diesem Schande antat, so hatte er sie verdient.«
»Das Urteil ist meine Sache«, entgegnete Thingol. »Doch was du berichtet hast, soll dabei den Ausschlag geben.« Dann befragte er Nellas eindringlich und wandte sich schließlich an Mablung. »Ich kann nicht verstehen«, sagte er, »dass Túrin dir von alldem nichts gesagt hat.«
»Aber er tat’s nicht«, antwortete Mablung. »Hätte er’s getan, wären meine Worte anders ausgefallen, die ich ihm bei unserer Trennung sagte.«
»Auch mein Urteil wird jetzt anders lauten«, sagte Thingol. »Hört denn! Eine derartige Schuld, wie man sie Túrin anlasten kann, vergebe ich ihm jetzt, denn man tat ihm Unrecht, und er wurde herausgefordert. Und weil es in der Tat, wie er sagte, ein Mitglied meines Rates war, das ihn so schlecht behandelt hat, braucht er nicht um Verzeihung nachzusuchen, sondern ich will sie ihm übermitteln, wo immer man ihn auch findet. Und ich werde ihn mit allen Ehren wieder in meine Halle aufnehmen.«
Als aber das Urteil gesprochen war, begann Nellas plötzlich zu weinen. »Wo sollen wir ihn finden«, schluchzte sie. »Er hat unser Land verlassen, und die Welt ist groß.«
»Man wird ihn suchen«, sagte Thingol und erhob sich. Beleg führte Nellas aus Menegroth fort und sagte zu ihr: »Weine nicht, denn wenn Túrin lebt oder sich noch außerhalb der Grenzen aufhält, werde ich ihn finden, selbst wenn alle anderen keinen Erfolg haben.«
Am nächsten Tag kam Beleg zu Thingol und Melian, und der König sagte zu ihm: »Gib mir einen Rat, Beleg, denn ich bin betrübt. Ich habe Túrin als meinen Sohn angenommen, und er soll es bleiben, es sei denn, Húrin käme aus dem Schattenland zurück und beanspruchte sein Fleisch und Blut. Ich möchte nicht, dass jemand behauptet, Túrin sei durch einen ungerechten Spruch in die Wildnis getrieben worden. Mit Freuden würde ich ihn wieder hier willkommen heißen, denn ich liebte ihn sehr.«
Und Beleg antwortete: »Ich werde nach Túrin suchen, bis ich ihn finde, und ich werde ihn nach Menegroth zurückbringen, denn auch ich liebe ihn.« Damit ging er fort. Und unter vielen Gefahren suchte er kreuz und quer in Beleriandnach einer Spur Túrins, aber vergeblich. Darüber vergingen der Winter und das folgende Frühjahr.
Túrin bei den Geächteten
Nun wendet sich die Erzählung wieder Túrin zu. Dieser, im Glauben, er sei ein Geächteter, den der König verfolge, kehrte nicht zu Beleg in die nördlichen Marken von Doriath zurück, sondern wandte sich nach Westen. Heimlich verließ er das Land des Zauns und kam in die Waldgebiete südlich des Teiglin. Dort hatten vor der Nirnaeth viele Menschen in verstreuten Gehöften gewohnt. Zum größten Teil gehörten sie zu Haleths Volk, doch sie hatten keinen Herrn und lebten von der Jagd und von der Landwirtschaft. Sie mästeten Schweine, und in den Wäldern beackerten sie die Lichtungen, die sie mit Zäunen gegen das Wild schützten. Aber inzwischen waren die meisten von ihnen getötet worden oder nach Brethil geflohen; über der ganzen Gegend lastete die Furcht vor den Orks und vor den Geächteten. In jener Zeit des Untergangs irrten nämlich viele Menschen heimatlos umher: Überlebende der Schlacht und der Niederlagen, Flüchtlinge aus verwüsteten Landstrichen, und es waren auch einige darunter, die böseste Taten verübt hatten und deshalb in die Wildnis getrieben worden waren. Sie jagten und erbeuteten jegliche Nahrung, derer sie habhaft werden konnten, doch im Winter, wenn der Hunger sie plagte, fürchtete man sie wie die Wölfe. Diejenigen, die Haus und Hof noch immer verteidigten, nannten sie
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