Nachrichten aus Mittelerde
seinen Mantel über. Doch Worte fand er nicht, und sie schwieg.
Die Zeit verging, noch immer stand Brandir stumm neben ihr, spähte in die Nacht und lauschte. Doch er konnte nichts sehen und nichts hören, außer dem Geräusch der stürzenden Wasser Nen Giriths, und er dachte: »Jetzt ist der Drache gewiss verschwunden und in Brethil eingedrungen.« Doch er hatte mit seinem Volk kein Mitleid mehr, es war ein Volk von Narren, das seinen Rat verlacht und ihn verspottet hatte. »Mag der Drache zum Amon Obel ziehen, dann wird Zeit genug sein, zu entfliehen und Níniel wegzuführen.«
Er wusste kaum, wohin, denn er war niemals über die Grenzen Brethils hinausgelangt.
Schließlich beugte er sich nieder, berührte Níniels Arm und sagte: »Die Zeit vergeht, Níniel. Komm! Es ist Zeit, zu gehen. Wenn du willst, so lass mich dich führen.«
Darauf stand sie schweigend auf, nahm seine Hand, und sie gingen über die Brücke und den Pfad hinunter, der zu den Teiglin-Stegen führte. Jene aber, die sie sahen, wie sie sich schattengleich durch das Dunkel bewegten, wussten nicht, wer sie waren und beachteten sie nicht. Und als sie ein kleines Stück durch die stillen Bäume gegangen waren, stieg hinter dem Amon Obel der Mond auf, und die Waldlichtungen füllten sich mit einem grauen Licht. Da blieb Níniel stehen und sagte zu Brandir: »Ist dies der Weg?« Und er antwortete: »Was heißt Weg? All unsere Hoffnung in Brethil ist zu Ende. Wir haben keinen Weg, es gilt nur, dem Drachen zu entgehen und aus seiner Reichweite zu fliehen, solange noch Zeit dazu ist.«
Níniel blickte ihn verwundert an und sagte: »Hast du dich nicht bereit erklärt, mich zu ihm zu führen? Oder wolltest du mich täuschen? Das Schwarze Schwert war mein Geliebter und mein Gatte, und nur ihn will ich suchen. Tu du jetzt, was du willst, ich muss mich beeilen.«
Und während Brandir noch einen Augenblick erstaunt dastand, eilte sie von ihm fort; und er schrie ihr nach: »Warte,Níniel! Geh nicht allein! Du weißt nicht, was dich erwartet. Ich will mit dir kommen!« Doch sie achtete seiner nicht und rannte hinweg, als sei ihr Blut auf einmal in Hitze geraten, das vorher kalt gewesen war. Und obwohl er ihr nachlief, so schnell er konnte, verlor er sie bald aus den Augen. Da verfluchte er sein Schicksal und seine Schwäche, aber er wollte dennoch nicht umkehren.
Jetzt ging der Mond weiß am Himmel auf, und er war fast voll; und als Níniel vom Hochland in das Land in der Nähe des Flusses kam, war ihr, als riefe die Gegend Erinnerungen in ihr wach, und sie fürchtete sie. Sie war nämlich zu den Teiglin-Stegen gekommen, und vor ihr erhob sich Haudh-en-Elleth, fahl im Mondlicht und mit einem schwarzen Schatten, der schräg darüber geworfen wurde; und etwas Furchtbares ging von diesem Grabhügel aus.
Da wandte sie sich mit einem Schrei ab und floh südwärts am Fluss entlang, im Laufen warf sie ihren Mantel fort, als werfe sie damit die Dunkelheit ab, die sie umklammerte; darunter trug sie ein weißes Gewand, und es schimmerte im Mondlicht, als sie durch die Bäume huschte. So sah sie Brandir vom Abhang des Hügels, und er wandte sich seitwärts, um ihr den Weg abzuschneiden, wenn es möglich war. Durch einen glücklichen Zufall fand er den schmalen Pfad, den Turambar benutzt hatte, und da er den ausgetretenen Weg verließ und in südlicher Richtung steil zum Fluss hinabführte, konnte sich Brandir wieder dicht an ihre Fersen heften. Doch sie achtete nicht auf seine Rufe, oder sie hörte sie nicht, und bald hatte sie wiederum einen Vorsprung. Und so näherten sie sich den Wäldern an der Cabed-en-Aras und dem Schauplatz von Glaurungs Todeskampf.
Der Mond zog am wolkenlosen südlichen Himmel seine Bahn, und sein Licht war kalt und klar. Als Níniel an den Rand der Verwüstung kam, die Glaurung angerichtet hatte, sah siedort den Körper des Drachen liegen und seinen grauen Bauch im Mondschein, doch daneben lag ein Mann. Da vergaß sie ihre Furcht, rannte mitten durch die schwelende Verwüstung und kam zu Turambar. Er war auf die Seite gefallen, und sein Schwert lag unter ihm, doch sein Gesicht war im weißen Licht totenbleich. Da warf sie sich weinend bei ihm nieder und küsste ihn. Ihr war, als atme er schwach, doch sie dachte, es sei nur ein Trugbild falscher Hoffnung, denn er war kalt, bewegte sich nicht und antwortete nicht. Als sie ihn liebkoste, bemerkte sie, dass seine Hand geschwärzt war, als sei sie versengt, und sie wusch sie mit ihren Tränen und
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