Nachruf auf eine Rose
eine Woche vergangen. Das war eine nicht zu entschuldigende Nachlässigkeit. So etwas kam zwar vor, aber nicht unter seiner Leitung!
«Sie hat einen Bruder, Nigel. Er ist siebzehn und ein bisschen einfältig. Sie wohnen bei ihren Eltern in einem Cottage am Rande des Wainwright’schen Anwesens. Nigel ist wohl die meiste Zeit im Wald und am Fluss unten. Er hat es anscheinend mit Wasservögeln.»
Fenwick lauschte gebannt.
«An dem Morgen, als Graham Wainwright starb, war Nigel wie immer unten am Fluss, und er sah einen Mann und eine Frau unter der alten Buche. Es war ziemlich mühsam, ihn zum Reden zu bringen. Sein geistiges Alter liegt so um die neun oder zehn Jahre, und was er sah, hat ihn verwirrt und ihm Angst gemacht.» Blite zog sein Notizbuch aus der Tasche.
«Er sagte Folgendes: Ich sah einen Mann und eine Frau . Sie haben irgendwie … gestritten . Sie haben viel Lärm gemacht . Ich habe nichts getan , ehrlich . Ich wollte nicht hinschauen , aber sie waren so laut . Ich saß auf einem Baum . Sie konnten mich nicht sehen , aber ich sah sie . Sie haben aufgehört zu schreien , und der Mann ist aufgestanden , doch die Dame hat ihn zurückgezogen . Ich hatte Angst . Ich bin weggerannt , und dabei bin ich ins Wasser gefallen .»
«Kann er die beiden identifizieren?»
«Ich habe ihm Fotos von allen Dinnergästen und von Graham Wainwright gezeigt. Er hat sofort auf Sally Wainwright-Smith gedeutet, nannte sie seine ‹Prinzessin› und sagte, er habe sie schon früher öfters gesehen, doch bei dem Mann war er sich nicht sicher. Sieht so aus, als habe er sein Gesicht nicht gesehen. Er glaubt, dass es Graham war, ist sich aber nicht sicher.»
«Vor Gericht reicht das wahrscheinlich nicht aus, doch es genügt, um unseren Verdacht zu erhärten. Sally hat also gelogen, was den Vormittag von Grahams Tod anbelangt.»
«Da ist noch was. Am Donnerstag vor Grahams Tod war Shirley im Hause Wainwright. Normalerweise passt Sally wie ein Schießhund auf, dass niemand sich an den Resten vergreift. An diesem Abend, so sagt sie, sei Alexander beim Abendessen eingeschlafen. Er habe noch nicht einmal das Hauptgericht aufgegessen und über eine halbe Flasche Claret übrig gelassen. Normalerweise hätte man die Flasche wieder verkorkt, um sie für den nächsten Tag aufzubewahren, doch die Missus ,wie sie Sally nennt, bestand darauf, dass Shirley die Flasche mit nach Hause nehmen sollte, sie meinte, der Wein würde sonst verderben.
Shirley war sprachlos vor Staunen, weil Sally sonst immer so gemein zu ihr war, doch das hat sie nicht davon abgehalten, den Wein mit nach Hause zu nehmen. Ihr Vater hat dann beim Fernsehen zwei Gläser getrunken und soll dann innerhalb von zwanzig Minuten eingeschlafen sein. Sie konnten ihn kaum ins Bett schaffen, und am nächsten Tag soll er mit furchtbaren Kopfschmerzen aufgewacht sein.»
«Dann sieht es also so aus, als habe Wainwright-Smith ein Schlafmittel bekommen?»
«Das werden wir bald genau wissen, Sir. Shirleys Vater macht selbst Wein, deshalb hat er die Flasche aufbewahrt. Die Kriminaltechnik hat sie schon zur toxikologischen Untersuchung eingeschickt.»
«Gut gemacht, Inspector.» Das war zwar noch kein eindeutiger Beweis für Sallys Schuld – hierbei handelte es sich lediglich um Indizienbeweise –, und doch könnte man sie damit zu einem Geständnis bewegen. Aber nicht heute Abend. Zuerst müssten sie die Gegenüberstellung organisieren, und das würde etwas Zeit brauchen. Außerdem bestand keine Fluchtgefahr. Also würden sie damit bis morgen warten.
6B VIERTER TEIL
Der Tod, er breitet seine Schwingen aus heut Nacht
Zu holen das, was längst schon sein.
Matthew Arnold
41B 35
Es war Donnerstagmorgen. Der Tag versprach klar und freundlich zu werden. Der plötzliche Wetterumschwung brachte eine Vorahnung von Wärme, die jedoch keinen Einfluss auf Inspector Blites Stimmung hatte, der sich gerade auf das Verhör von Sally Wainwright-Smith vorbereitete. In einer Besprechung mit Quinlan und Harper-Brown war entschieden worden, dass die Beweise gegen Sally noch nicht ausreichten, um sie festzunehmen. Fenwick hatte sich so weit vorgewagt, dass es zwischen ihm und dem Assistant Chief Constable beinahe zum Krach gekommen wäre. Das war eine neue und ungewohnte Situation für Blite. Genauso wie Fenwick war auch Blite nun davon überzeugt, dass Sally ihre Hauptverdächtige war, doch waren sie bei Harper-Brown und dem Superintendent auf heftigen Widerstand gestoßen.
Fenwick und Blite
Weitere Kostenlose Bücher