NachSchlag
gab man Cannabis auch den schwer Krebskranken mittlerweile, um ihre Schmerzen zu lindern und ihren Appetit zu steigern. Wenn Lea sich ihre Joints reinzog, war sie nie frech.
Marit, die niemals eine Performancevorstellung ihrer Tochter besuchte, verstand sich darauf, die Nabelschnur nicht abreißen zu lassen, obwohl Lea das 30. Lebensjahr mittlerweile überschritten hatte.
Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Welchen Weg soll ich gehen?
All diese Fragen zogen Lea immer wieder durch den Sinn, durch ihr ganzes Sein, quälten sie, und so blieb es, bis Armand in ihr Leben trat.
Die übergroße, unglaubliche Klarheit bittersüß schmerzenden Lichtes, die sie fortan durchdrang, war mehr, als sie damals ertragen konnte, und sie flüchtete in den mütterlichen Nebel zurück. Sie kehrte in den Käfig zurück und nannte ihn Mutterliebe. Sie begab sich in den lichtlosen Kerker und nannte ihn Hingabe der Tochter an die Mutter. Das Opfer ohne Sinn und ohne Lust. Dunkel. Statisch. Stumpf und dumpf.
Das Selbsterkenntniswetterleuchten, als Armand »das Schlafende« in ihr erweckt hatte, war zu viel für sie gewesen.
Und jetzt?
Armand drehte den Regler quälend langsam hoch. Unbarmherzig. Stromstöße jagten durch Leas Unterleib, ließen die Muskeln zittern und haltlos zucken und sich nahezu verkrampfen – die Schmerzen waren pure silberne Lanzenstiche, erreichten ungeahnte Dimensionen; niemals hätte Lea für möglich gehalten, dass Armand fähig und hart genug war, ihr das anzutun.
Sie – schrie.
Immer lauter und durchdringender … Armand lauschte ihrem schmerzerfüllten Klagen und verschob den Stärke-Regler, einmal nach unten, dann nach oben … oh, er musste aufpassen, er liebte den Klang ihrer Stimme so sehr, wenn sie gefoltert wurde.
Und auf einmal fühlte er sich zurückversetzt in eine frühere Zeit, als sie auch hier unten gespielt hatten und er sie an das Hexenkreuz fesselte. Er war der Inquisitor, der die blonde türkisäugige Hexe, die nackt vor ihm hing, verhörte – ja, daran erinnerte ihn das und er dachte auch an jenen längst verflossenen Dialog zwischen ihnen beiden.
»Ich gestehe, dass ich eine Hexe bin«, keuchte Lea. »Ihr müsst mich dem Scheiterhaufen überantworten, Mylord.«
Armands Gesicht näherte sich dem ihren … seine Fingerspitzen berührten ihre Schultern, die rot gestriemt waren wie die meisten Partien ihres Körpers … lediglich die Brüste hatte er wie üblich ausgespart und nur sanft gequält …
»Hmm … aber da gibt es ein Problem, Lea.«
»Welches, Mylord?«
»Ich fürchte, ich habe damit begonnen, Gefühle für mein Opfer zu entwickeln … Dieser Inquisitor taugt nicht mehr für seinen Beruf. Ich möchte dich befreien, auf meine Burg bringen und dich als meine persönliche Sklavin in meinem Verlies halten – für immer.«
Ihre dicht bewimperten Edelsteinaugen strahlten ihn an. »Oh ja, Mylord …«
Und er küsste sie. Schmeckte einen Tropfen ihres Blutes auf seiner Zunge, denn er hatte sie sehr intensiv gepeinigt, und auf dem Höhepunkt der Qual hatte sie sich die Lippen blutig gebissen …
Gewaltsam riss Armand sich aus dieser köstlichen Erinnerung. Es war wichtig jetzt, extrem wichtig, dass er durchhielt und weitermachte – die Granitmauer von Leas Widerstand zerbröselte vor seinem geistigen Auge, er konnte es förmlich sehen!
Sie
wollte
gestehen. Die Wahrheit sagen.
Und konnte es doch noch immer nicht.
Langsam drehte Armand den Intensitätsregler auf Null zurück, ließ die Gefolterte etwas Atem schöpfen.
»Letzte Chance, Lea. Ich werde dir ein wenig helfen, hör also gut zu.« Scheinbar ruhig und gelassen wie eh und je … jeder Zoll der coole Polizeibeamte, den nichts, aber auch gar nichts aus der Ruhe bringt, so schritt Armand vor Lea auf und ab, und sie starrte ihn wie hypnotisiert an, während er weit ausholte mit samtweicher Stimme.
»Es ist sonderbar, doch fast an jedem Tatort scheint es einen blinden Fleck zu geben, der von allen Beamten, die mit der Untersuchung betraut sind, übersehen wird. Das war meine Ausgangsbasis, als ich ihn mir vorgestern noch einmal vornahm. Der
Blinde Fleck
hat meistens etwas Aberwitziges, Unlogisches an sich, und das ist auch der Grund, weshalb er im Routinebetrieb des Ermittelns nicht auffällt … das zum einen wusste ich, und dann besaß ich zum anderen eine gewisse Begabung, einen Spürsinn dafür. Und ich hatte noch einen weiteren Vorteil: Ich kannte den nunmehr verblichenen Herrn Rizzi persönlich, und ich hatte mir
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