NachSchlag
sanftweiße und darunter blutig schimmernde Phase zu Ende ging. Für Lea verschärfte sich die Lage, weil ihr Anteil am Erbe dahinschwand, so dass sie gezwungen war, wieder mehr zu jobben. Es war aber andererseits heilsam, sie sah die Dinge klarer und nicht mehr durch den bequemen Geldnebel verschleiert.
Entschlossen bekämpfte sie ihre Scheu und versuchte sich als Bedienung in einem vegetarischen Restaurant.
Marit hingegen hatte es sich gemütlich in ihrem Leben eingerichtet, gruselig-gemütlich, fand Lea, die mehr und mehr wahrnahm … sie
sah
, was nicht in Ordnung war und wünschte sich, helfen zu können.
Es traf Marit unerwartet und sie SCHRAK zusammen, als ihre einzige Tochter ihr eine Frage stellte. Kühl, fast schroff. Selbst die Anrede klang hart.
»Mama, was genau war eigentlich mit meinem Vater?«
Marit, die mit den Jahren immer dürrer und grauer geworden war, sprang auf und wirkte auf einmal viel lebendiger. Sie bebte vor Wut.
Sie befanden sich im Flur; Lea hatte sich gerade verabschieden wollen. Da war es wie aus heiterem Himmel über sie gekommen, ein Gedankenblitz, und sie hatte diese Frage stellen MÜSSEN. Und es war weniger die Frage selbst als die Art und Weise, wie sie sie aussprach.
Marits Gesicht verzerrte sich, als litte sie Schmerzen.
Vor ihrer wütenden Mutter hatte Lea immer ein besonderes Grauen gehabt. Jenseits von Angst, viel größer als Furcht.
Ihr Gehirn war auf einmal wie leergefegt, sie selbst wie gelähmt.
Nur noch ein letzter Rest Willenskraft brachte sie dazu, dem zornsprühenden Blick ihrer Mutter standzuhalten.
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir, sei nicht so
frech
!«, stieß Marit scharf hervor. FRECH, das schlimmste, was es gab. »Das ist … das ist einfach eine bodenlose Frechheit von dir! Wie kannst du es wagen …! Er war ein – Mistkerl, und – mehr gibt es dazu nicht zu sagen! Ein für allemal!«
Und indem ihr Blick abirrte, abglitt an dem ihrer Tochter, die plötzlich empfand, dass da etwas an der Wurzel nicht stimmte, etwas Wesentliches … konnte Marit ihre eigene Niederlage nicht ertragen und schlug zu; sie stand halb vor Lea, halb von ihr abgewandt, und ihre knochige Hand klatschte in ihr Gesicht, als könnte eine Ohrfeige die Frage in Stücke schlagen, die Frechheit auslöschen, vaporisieren.
Lea blieb stumm.
Weder weinte sie, noch beklagte sie sich.
Zwischen ihr und Marit schien ein Kristall zu schweben.
Die alternde Frau starrte die jüngere hasserfüllt an. Doch dann murmelte sie nur mit dumpfer Stimme: »Manchmal denke ich, du bist gar nicht mein Kind.«
Da zuckte Lea zusammen, spürte den bitteren Schmerz.
Das war schwerer zu ertragen als die Ohrfeige, da hätte sie von Marit lieber 50 Rohrstockhiebe auf den nackten Hintern bekommen, soviel wusste sie definitiv.
Auf tauben Beinen ging sie in Richtung Wohnungstür.
Marits Zimmer waren picobello eingerichtet, teure Möbel, eine Musikanlage nur vom Feinsten, stilvolle Gemälde an den Wänden … mit hochtrabender Gebärde nannte die Frau sie manchmal ihre »Gemächer« … und doch klebte eine trist-unordentliche, schlampige Atmosphäre überall in den Ecken des kostspieligen Appartements. Hervorgerufen durch angebrochene Tablettenpackungen … und durch die Flaschen. Die Pillenkartons, hastig aufgerissen und teilweise eingedrückt, stapelten sich fast überall. Die Flaschen standen dazwischen unauffällig, beinahe getarnt.
Außer von Lea bekam die Einsiedlerin Marit fast nie Besuch.
Der hauchfeine Kristall war zersprungen, in Tausende von Scherben und Splitterstückchen.
Aber nach und nach flickten sie ihn wieder zusammen. Und taten so, als sei nichts gewesen. Der tiefe Graben des Zerwürfnisses zwischen Mutter und Tochter wurde notdürftig zugeschüttet.
Lea ahnte vieles, aber wusste es nicht auszudrücken, fürchtete sich davor. Sie drückte es in ihren Performance-Auftritten aus. Verschlüsselt, symbolisch, metaphorisch. Sie liebte die Flüchtigkeit ihrer Kunst, doch wünschte sich manchmal, die fragilen Bilder festhalten zu können … Wenn der Druck zu groß wurde, rauchte sie trotzig Marihuana, voll Widerwillen gegen Chemiepillen, aus Abscheu gegen alle Erzeugnisse der pharmazeutischen Industrie, von denen sie sich fast panisch fernhielt … »reines Naturkraut«, sagte sie sich jedesmal, wenn sie den süßlichen Duft genoss und in den milden Rausch eintauchte, der Ecken und Kanten abschliff, sanft und träge machte.
Ihre Mutter mochte sie so und tolerierte es. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher