Nachschrift zum Namen der Rose
gefiltert,
war vorher gewesen, in der Entscheidung zur Assimilation von
mystischer und erotischer Ekstase, als ich die zu benutzenden
Texte gelesen und ausgewählt hatte. Danach war keinerlei
Emotion mehr im Spiel, Adson war es, der Liebe machte, nicht
ich, und mir blieb nur noch die Aufgabe, seine Emotion in ein Augen- und Fingerspiel umzusetzen, als wollte ich eine
Liebesgeschichte nicht mit Worten auf dem Papier erzählen,
sondern mit Schlägen auf einer Trommel.
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7 Ubi mons magnus ardens missus est in mare: »Und der andere.
Engel posaunte: und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend
ins Meer; und der dritte Teil des Meeres ward Blut.« (Apokalypse
8,8)-»Starb nicht der zweite Junge in einem Meer von Blut? Paß auf,
wenn die dritte Posaune ertönt!« (Alinardus von Grottaferrata in Der Name der Rose, S. 202)
Den Leser schaffen
Rhythmus, Atem, Initiation... Für wen, für mich? Nein, für
den Leser. Wer schreibt, denkt an einen Leser. So wie der
Maler, wenn er malt, an einen Betrachter denkt: Kaum hat er
einen Pinselstrich angebracht, tritt er ein paar Schritte zurück
und prüft die Wirkung; das heißt, er betrachtet das Bild mit den
Augen dessen, der es künftig betrachten soll. Ist die Arbeit
getan, so entspinnt sich ein Dialog zwischen dem fertigen Text
und seinen Lesern (in den der Autor nicht eingreifen darf).
Während der Arbeit laufen zwei Dialoge: einer zwischen dem
entstehenden Text und allen zuvor geschriebenen Texten (jedes
Buch wird aus anderen und über andere Bücher gemacht) und
einer zwischen dem Autor und seinem gedachten Wunsch-,
Modell- oder Musterleser. Ich habe das in theoretischen
Schriften dargelegt, insbesondere in meinen Studien über die
»Rolle des Lesers«, aber auch schon in denen über das »Offene
Kunstwerk« '5, und es ist keine Erfindung von mir.
Es kann sein, daß der Autor beim Schreiben an ein empirisch
vorhandenes Publikum denkt, wie es die Begründer des
neuzeitlichen Romans taten, Richard-
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son, Fielding oder Defoe, die für Kaufleute und deren Gattinnen
schrieben, doch für ein Publikum schrieb auch Joyce, der sich
einen Idealleser mit einer idealen Schlaflosigkeit vorstellte. In
beiden Fällen heißt schreiben - ob nun der Schreibende glaubt,
ein vorhandenes Publikum anzusprechen, das mit dem Geld in
der Hand vor der Tür steht, oder ob er sich vornimmt, für einen
künftigen Leser zu schreiben - sich mit Hilfe des eigenen Textes
den gewünschten Lesertyp schaffen.
Was heißt es für einen Autor, an einen Leser zu denken, der
die initiatorische Klippe der ersten hundert Seiten zu überwin-
den vermag? Es heißt nichts anderes, als hundert Seiten zu
schreiben mit dem Ziel, durch sie einen Leser zu schaffen, der
den folgenden Seiten gewachsen ist.
Gibt es einen Autor, der nur »für die Nachwelt« schreibt?
Nein, nicht einmal wenn er es selbst behauptet, denn da er nicht
Nostradamus ist, kann er sich die künftigen Leser nur nach dem
Muster dessen vorstellen, was er von den gegenwärtigen weiß.
Gibt es einen Autor, der nur für wenige schreibt? Ja, wenn damit
gemeint ist, daß sein Leserideal aller Voraussicht nach wenig
Chancen hat, von vielen verkörpert zu werden. Doch auch in
diesem Fall schreibt der Autor in der (gar nicht einmal so heim-
lichen) Hoffnung, daß gerade sein Buch viele neue Vertreter
jenes Lesertyps schaffen werde, den er gewollt und durch seinen
Text mit soviel handwerklicher Akribie verfolgt, postuliert,
ermuntert hat.
Der Unterschied liegt allenfalls zwischen dem Text,
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der einen neuen Leser erzeugen will, und dem, der den Leser-
wünschen, so wie sie sind, entgegenzukommen versucht. Im
zweiten Fall haben wir das »gemachte« Buch, geschrieben nach
einer erprobten Formel für Serienprodukte: Der Autor macht
eine Art Marktanalyse und paßt sich an. Daß er nach einer
Formel arbeitet, sieht man aus der Distanz, wenn man seine
Romane analysiert und feststellt, daß er in allen, bei wechseln-
den Namen, Orten und Physiognomien, immer dieselbe
Geschichte erzählt. Immer die, nach der das Publikum schon
verlangte.
Doch wenn der Autor Neues plant und einen anderen Leser
im Sinn hat, will er kein Marktforscher sein, der bloß die
geäußerte Nachfrage registriert, sondern ein Philosoph, der dem
»Zeitgeist«* auf die Schliche zu kommen sucht. Er will seinen
Lesern aufdecken, was sie verlangen müßten, auch wenn sie es selbst noch nicht wissen. Er will seinen Lesern
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