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Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)

Titel: Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Heinze
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zwei über. Zuletzt zog ich die Stutzen noch einmal sauber nach oben. Normalerweise fühlte ich mich genau nach Justieren dieser Socken immer endgültig bereit für das Spiel. Keine Ahnung, warum, vielleicht weil es sich so sehr vom Alltag unterscheidet. Denn welcher Mann läuft sonst schon in langen Strümpfen durch die Gegend?
    Wie auch immer, an diesem Tag war das ohnehin Makulatur. Denn da war schließlich noch die Kapitänsbinde in den Farben der deutschen Flagge, die ich mir zuallerletzt über meinen linken Arm streifte. Erst jetzt war ich so weit. Der Trainer richtete die letzten Worte an uns und gab noch einmal kurze taktische Anweisungen. Dann herrschte Ruhe in der Kabine. Ich schloss noch einmal die Augen und atmete gleichmäßig und tief durch, während sich vor mir mögliche Szenen aus den bevorstehenden neunzig Minuten abspielten, in denen ich einen wichtigen Zweikampf gewann, eine Traumflanke schlug oder sogar ein Tor schoss.
    Ein schriller Pfiff durchschnitt um etwa 13 Uhr 55 die Stille, und wir standen auf. Das war das Zeichen des Schiedsrichters, dass es nun losging. Fast alle hatten Stollen gewählt, und so gingen wir mit laut klackernden Schritten durch die langen Gänge zum Spielertunnel. Vorneweg marschierte ich mit meinem Team und dem Gegner auf den Platz. Nachdem wir uns alle in eine Reihe gestellt und die Zuschauer begrüßt hatten, ging ich zur Seitenwahl mit dem Schiedsrichtergespann und dem Kapitän von Dynamo. Anschließend machte ich mich auf den Weg zur rechten Abwehrseite Richtung Gegengerade. Genau hier war die Tribüne leer aufgrund der Strafe gegen den Verein. Die gesamte Kulisse war in ihrer Größe natürlich nicht annähernd vergleichbar mit der beim Abschiedsspiel von Oliver Kahn. Die Lautstärke allerdings war weitaus extremer, zumindest dort, wo sich die Fans postieren durften. So viel bekam ich selbst auf meiner verwaisten Position mit, und mein Eindruck sollte sich in der zweiten Halbzeit bestätigen.
    Die erste Hälfte gestaltete sich sehr ereignisreich, und es ging mit einem zwei zu zwei in die Pause. Hochklassig war diese Partie allerdings in keiner Weise, und das sollte auch so bleiben. Denn obwohl der Boden nach und nach aufweichte, war auf diesem Untergrund an ein technisch sauberes Fußballspiel nicht zu denken. Den Trainer interessierte das herzlich wenig, er monierte unsere Fehler in der Kabine in einer Lautstärke, die jedem Drillsergeant zu Ruhm und Ehre gelangt hätte. Zu Beginn der zweiten Halbzeit trabte ich nun auf meine Position direkt vor der vollbesetzten Haupttribüne der Dresdner. In diesem reinen, überaus modernen Fußballstadion, das in seiner Größe eigentlich vollkommen überdimensioniert für die Liga ist, passt kaum ein Blatt Papier zwischen Fans und Spieler, Bande und Außenlinie sind nur einen Katzensprung auseinander.
    Je näher ich der Außenlinie kam, desto lauter wurde es und unangenehmer. Selbstverständlich rechnete ich mit Unmutsbekundungen gegen mich und dem einen oder anderen bösen Wort, das ist man als Bayernspieler gewöhnt. Doch was mir dort entgegenschlug, hatte ich in diesem Maße noch nicht erlebt. Als der Schiedsrichter die zweite Hälfte um 14 Uhr 45 anpfiff und ich noch keinen Ball berührt hatte, flogen bereits die ersten kleineren Gegenstände in meine Richtung, begleitet von einem ganzen Schwall an, zugegeben relativ kreativen, Schimpfwörtern. Ich halte meine Mutter für eine sehr ehrbare Frau, einige dieser Leute anscheinend nicht. Und das machten sie mir immer wieder klar, sobald ich in die Nähe der Außenlinie kam, was aufgrund meiner Position nicht selten passierte. Nach ein paar Minuten wusste ich immerhin, dass sie auch von mir persönlich keine wesentlich höhere Meinung hatten.
    Natürlich waren nicht alle Fans in Dresden so drauf. Dort saßen sicher auch höfliche Menschen auf den Rängen, die einfach lautstark ihren Verein unterstützten, oder Familien, die nur ein gutes Fußballspiel sehen wollten. Aber die Stimmung war schon etwas Besonderes, und anscheinend war ich gerade auf meiner Seite auf ein Nest voller aggressiver Anhänger gestoßen. Während sich der Ball im Spiel befand, bekam ich von dieser surrealen Umgebung kaum etwas mit. Doch sobald es eine Unterbrechung gab, stürzte ein zornerfüllter Donnerhall auf mich ein. Ganz besonders als ich nahe der Fans einen Dynamo-Spieler von den Beinen holte und der Schiedsrichter ein Foul pfiff. Ich war einerseits mächtig beeindruckt von diesen Reaktionen,

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