Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
letztlich nur ein verschwindend geringer Teil des Ganzen. Warum also mache ich mir das Leben selbst so schwer? Diese im Prinzip simple Erkenntnis kam überraschend und fühlte sich an wie eine einzige Befreiung.
Ich hätte mir gewünscht, dass dieser erhabene Zustand für immer blieb. Tat er aber nicht. Schon wenige Stunden später befand ich mich wieder in meiner üblichen Gefühlswelt, die in dieser Zeit besonders von maßloser Enttäuschung und Verzweiflung geprägt war. Doch die Erinnerung an dieses Erlebnis blieb. Es war definitiv ein einschneidender und prägender Moment in meinem Leben. Und auch wenn ich es danach lange Zeit bewusst verdrängte, an diesem Tag wurde mir auf der Bank sitzend unmissverständlich klar, dass es mit mir und der großen Fußballkarriere nichts werden würde. Tief drinnen wusste ich das von diesem Moment an.
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25.5.
Ein göttlicher Spieler
Beim Frühstück reißt Leon das Thema Drogen an. Für mich als Sportler, aber auch aufgrund meiner Einstellung diesbezüglich, vollkommenes Neuland. Ich bin gegen Drogen, und daran hat sich nach diesem Gespräch nichts geändert. Trotzdem ist es für mich interessant, mit einem Typen zu sprechen, der Erfahrungen damit hat. Und Leon kennt sich wirklich gut aus. Für meinen Geschmack sogar zu gut. Egal, ob Marihuana, Koks, LSD oder Pilze, er kennt alles. Und liefert zu jeder Droge gleich einen fundierten Erfahrungsbericht ab. Wenn es nach Leon ginge, sollte ich am besten alles ausprobieren. Ich dürfe nur nicht so dumm sein, etwas zu oft zu konsumieren, sonst würde es gefährlich. Ich will gar nicht leugnen, dass er mich mit den detaillierten Beschreibungen seiner Trips ein wenig neugierig gemacht hat. Und der Kerl hat eine wahnsinnig überzeugende Art in seinen Erzählungen, der würde dem Papst glatt ein Doppelbett verkaufen. Aber so sympathisch er mir auch ist, ich werde das Gefühl nicht los, dass er die Sache arg verharmlost.
Auch das Leben von Zé Roberto drehte sich schon früh um Drogen. Viele seiner Freunde aus der Nachbarschaft gerieten durch diverse Rauschmittel auf die falsche Bahn oder starben in jungen Jahren daran. Er aber schaffte es, sich von alldem fernzuhalten. Ihm half dabei der Fußball, der ihn vor der Kriminalität auf den Straßen São Paulos bewahrte. Und sein tiefer Glaube an Gott.
Ich hatte das Vergnügen, Zé zu seiner Zeit als Spieler des FC Bayern kennenzulernen. Im Rahmen meines Fernstudiums sollte ich ein Porträt über eine Person meiner Wahl schreiben. Ich dachte sofort an ihn. Er war schon immer einer meiner Lieblingsspieler bei den Bayern gewesen, seine Spielweise beeindruckt mich noch heute. Seine kurzen zackigen Antritte geben der Spielsituation immer eine neue Wendung, seine feine Ballbehandlung lässt jeden Zuschauer mit der Zunge schnalzen. Seine Bewegungen erinnern mich immer an die eines Flummis. Spielerisch, unvorhersehbar und doch kontrolliert schießt er über das Grün. Dieses unbekümmert Kindliche in seinem Spiel, diese Leichtigkeit, habe ich schon immer bewundert. Unglaublich, wie fit dieser Mann mit seinen sechsunddreißig Jahren noch ist. Viel Training, gute Ernährung, keine Partys und eine Menge Schlaf, so beschreibt er sein simples Erfolgsrezept.
Auf dem Platz ist Zé eine Attraktion, außerhalb des Rasens dagegen so gar nicht der extrovertierte Star, den man vermuten könnte. Vielmehr stellt er den exakten Gegenentwurf zu den schillernden Persönlichkeiten im Fußball dar. Neben seiner fußballerischen Klasse machte ihn dieser besondere Charakter für meine Arbeit interessant. Als ich ihn für mein Porträt interviewen durfte, bestätigte sich dieser Eindruck. Er trat gewohnt ruhig und bescheiden auf, sprach leise, suchte häufig Augenkontakt und blieb stets höflich. In der Boulevardpresse findet man Zé Roberto so gut wie gar nicht. Sein Hauptaugenmerk gilt der Familie. Mit seiner Jugendliebe Luciana hat er drei Kinder. Er stammt aus bitterarmen Verhältnissen, wuchs in einem Slum auf. Als Kind spielte er nur barfuß, Fußballschuhe konnte er sich nicht leisten. Der Vater ließ die Familie früh sitzen, die Mutter kämpfte tagtäglich für das Überleben ihrer Kinder. Von ihr erhielt Zé auch den Anstoß, sich mit Gott zu befassen. Während die Mannschaftskollegen vor dem Spiel im Bus an ihren Laptops sitzen oder zur Einstimmung Musik auf ihren iPods hören, blättert Zé gedankenverloren in der Bibel. Daraus schöpft er seine Kraft. Er überlegt, nach der
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