Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
Blick dieses Hirten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit setzt sich der Mann in Bewegung und schreitet seinem Vieh hinterher. Ich blicke ihm eine Zeitlang nach, er dreht sich nicht ein einziges Mal um. Ich habe nie mit diesem Menschen gesprochen, ich habe ihn ja nicht einmal richtig gesehen, ich weiß nichts über ihn. Aber was ich weiß, ich fühle mich innerlich befreit, als er geht. Und so seltsam sich das auch für mich selbst beim Formulieren dieses Erlebnisses anhört, so völlig normal und richtig empfand ich es in dem Augenblick, als es passierte.
Dann höre ich eine Stimme, die mich aus meinem wohligen Gefühl reißt. Leon ist zurück, das Motorbike fährt wieder. Ein Einheimischer in der Nähe konnte den Reifen flicken.
Nach dem Abendessen wollen wir den Tag bei einem Bierchen ausklingen lassen und stapfen in die nächste Bar, wo wir bis in die frühe Nacht hinein quatschen. Leon ist so ganz anders als ich, aber vielleicht verstehen wir uns gerade deshalb so gut. Er ist geradezu besessen vom Reisen. Seit fast zwei Jahren ist der Kerl ununterbrochen in der Weltgeschichte unterwegs, von Australien und Neuseeland über Samoa, die Fidschis, Bali und weiß Gott, was noch alles, bis hierher auf Lombok. Leon ist unheimlich kontaktfreudig und lebt einfach in den Tag hinein. Er ist alles andere als dumm, macht sich aber einfach keinen Kopf, sondern genießt das Leben. Ich beneide ihn ein wenig dafür, während ich gebannt seinen zahlreichen Anekdoten lausche. Andererseits könnte ich mir so einen Lebensstil nicht vorstellen, jedenfalls nicht über mehrere Jahre. Seine Reiserei will er nach eigener Aussage am liebsten bis zu seinem Lebensende durchziehen. Das bezweifle ich dann doch sehr und gebe ihm mit einem Augenzwinkern den Hinweis, sich nur nicht allzu bald ein Kind andrehen zu lassen. Denn dann müsste er seine Karriere als professioneller Globetrotter wohl an den Nagel hängen.
Auch ich wäre bei einem passenden Angebot in die Welt hinausgezogen, sofern mir das sportlich weitergeholfen hätte. Das Kapitel FC Bayern war für mich abgeschlossen, zumindest auf dem Papier. Einen neuen Verein hatte ich allerdings immer noch nicht. Ich hatte schon immer den Gedanken im Kopf, vielleicht mal für zwei oder drei Jahre im Ausland zu spielen. Mich hat diese Idee immer gereizt, allein schon, um in einer anderen Umgebung meinen Horizont ein wenig erweitern zu können. Doch eigentlich peilte ich diesen Lebensabschnitt, wenn überhaupt, erst für Ende zwanzig oder Anfang dreißig an. Aufgrund meiner misslichen Lage wäre ich aber schon jetzt mit dreiundzwanzig dazu bereit gewesen. Es gab jedoch erwartungsgemäß auch außerhalb Deutschlands keine konkreten Anfragen.
Die alte Saison war inzwischen seit fast einem Monat vorüber, und die Zeit drängte immer mehr. Es war zum Verrücktwerden. Nachdem Club für Club im Laufe der vergangenen Wochen abgesagt hatte, blieb mir nur noch eine letzte Hoffnung. Die hieß MSV Duisburg. Ein ambitionierter Zweitligist, in meiner Situation sportlich perfekt. Der Chefscout des Vereins hatte mich noch als Stammspieler mehrfach beobachtet, war von meiner Qualität sehr angetan und riet dem dortigen Manager dringend zu einer Verpflichtung.
Ich saß mit ein paar Leuten in München bei einem ehemaligen Mannschaftskollegen. Wir grillten auf seinem Balkon bei angenehmem Sonnenschein, die Stimmung war vergnügt und unbeschwert. Ich aber war innerlich sehr unruhig. Mein Berater wollte mich am Abend noch anrufen. Zeitgleich sollte in Duisburg eine Konferenz mit den Verantwortlichen des Vereins stattfinden, wo unter anderem auch meine mögliche Verpflichtung diskutiert werden sollte. Der Trainer war gerade erst aus dem Urlaub gekommen und musste natürlich den Wechsel erst absegnen. Ich rechnete mir gute Chancen aus, da der Manager sehr zuversichtlich klang und ich als ablösefreier, dazu junger deutscher Spieler und ohne überzogene Gehaltsforderungen ein geringes Risiko für den MSV darstellte.
Mein Berater klingelte spätabends bei mir durch, mit der Auskunft, dass sich die Konferenz aufgrund einer Verspätung des Trainers bis in die Nacht ziehen würde. Erst morgen früh gegen acht Uhr sollte ich endgültig erfahren, ob der Transfer in trockenen Tüchern war oder nicht. Aufgrund der Verzögerung beschlich mich ein ungutes Gefühl, das Ganze kam mir seltsam vor. Dabei waren wir eigentlich einig mit dem Verein, sogar der finanzielle Rahmen war bereits abgesteckt. Lediglich die endgültige Zustimmung
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