Nachsuche
abstützen. Dabei übersieht er, dass der dünne Stamm völlig morsch ist. Er gibt nach, neigt sich, fällt, und mit ihm der Junge kopfüber den Hang hinunter. Er lässt die Hundeleine los.
Genau zu diesem Zeitpunkt betritt ein scheinbar gut gelaunter Rüdisühli die Polizeistation in Turbenthal.
Er hat sein vom Zusammenstoß mit dem Reh beschädigtes Auto in ›Kevins Blechparadies‹ gebracht, mit der leisen Hoffnung, die schöne Corinna wiederzusehen.
Er bog auf den Hof ein, hupte laut und lang.
Wenn sie da ist, kommt sie vielleicht aus dem Büro, dachte er, wurde aber enttäuscht. Kevin Pfähler empfing ihn wie einen alten Freund, begutachtete den Schaden. Rüdisühli erzählte, was passiert war.
Kevin schlug ihm mit der Hand auf die Schulter, sagte: »Hast Schwein gehabt. Nicht alle Unfälle mit Wild gehen so harmlos aus.«
Er versprach ihm, das Auto in zwei Tagen zu reparieren. Inzwischen könne er einen Ersatzwagen haben. Mit dem fuhr Rüdisühli, nachdem er so lange wie möglich getrödelt hatte, davon, ohne Corinna gesehen zu haben. Er wollte auf dem Polizeiposten in Turbenthal seine Bestätigung abholen.
»Ich komme«, sagt er statt einer Begrüßung, »um der Polizei beim Sparen zu helfen.«
Noldi, der geschniegelte Sprücheklopfer noch nie leiden konnte, schaut ihn ausdruckslos an.
»Ich habe mir gedacht«, fährt sein Besucher unbeirrt fort, »ich hole meine Bestätigung selbst ab, so geht es ohne Porto.«
Noldi schweigt weiter.
»Haben Sie das Reh gefunden?«, fragt Rüdisühli.
Endlich öffnet Noldi den Mund und sagt: »Wo waren Sie Dienstag, 10.11. Nachmittag?«
»Was soll das?«, begehrt Rüdisühli auf.
»Reine Routine. Es geht um einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht.«
Rüdisühli lacht erleichtert.
»Das bin nicht ich gewesen. Ich war zu Haus bei meiner Frau. Und jetzt will ich endlich die Bestätigung.«
»Gleich. Ich habe nur noch eine Frage.«
»Die wäre?«, erkundigt sich Rüdisühli, jetzt wieder mit ärgerlichem Unterton.
»Wie ist der Leuen in Eschlikon? Dort haben Sie doch damals in der Nacht gefeiert. Ich würde gern wieder einmal hin. Als ich das letzte Mal mit meiner Frau dort war, sind wir die einzigen Gäste geblieben und das Essen war mies.«
»Ach«, sagt Rüdisühli lächelnd. »Es gibt einen neuen Wirt und der macht seine Sache ordentlich. Ich bin gerne dort mit meinen Kunden, wenn es einen Abschluss zu feiern gibt. Das kommt öfter vor. Ich kann sagen, ich bin erfolgreich in meinem Job. Also, was ist jetzt mit meiner Bestätigung?«
»Das haben wir gleich«, lenkt Noldi ein. »Gut, dass Sie persönlich gekommen sind. Da kann ich mir Ihren Wagen rasch noch einmal ansehen.«
Rüdisühli zögert.
»Geht leider nicht«, sagt er. »Ich habe ihn bereits in die Werkstatt gebracht. Ich, in meinem Beruf, kann es mir nicht leisten, mit einem demolierten Karren herumzufahren.«
»Ja, dann«, erwidert Noldi hocherfreut, »fürchte ich, wird es mit der Bestätigung noch dauern.«
»Wieso?«, beharrt der andere. »Sie haben den Wagen gesehen.«
»Die Sache ist heikel«, erklärt Noldi. »Erinnern Sie sich, ich habe Sie angewiesen, an der Unfallstelle zu warten, bis jemand kommt. Doch Sie sind erst Stunden später wieder erschienen. Sie haben sich dadurch einer Alkoholkontrolle entzogen. Es wäre also gut möglich«, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln, »dass Sie sich ein Glas zu viel genehmigt hatten.«
»Herr Inspektor, ich versichere Ihnen, ich trinke nie, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin.«
»Den Inspektor können Sie weglassen«, erklärt Noldi. »Ich glaube Ihnen ja. Aber das sagen alle. Und glauben heißt, nichts wissen. Ich werde den Antrag um Bestätigung nach Winterthur weiterleiten. Dann kann ich mir an Ihnen die Finger nicht verbrennen.«
»Finger verbrennen, Finger verbrennen«, moniert Rüdisühli, »wie reden Sie, es ist doch nichts passiert.«
»Doch«, sagt Noldi, »das Reh hat es erwischt.«
»Ja«, gibt Rüdisühli zu, »das tut mir leid. Ich bin kein Unhold. Aber auch ich hätte tot sein können.«
»Was mir leid täte«, ergänzt Noldi ungerührt.
Pauli fällt nicht weit. Eine dicke, vorstehende Wurzel bremst seinen Sturz. Benommen bleibt er einen Augenblick liegen. Dann bewegt er vorsichtig Arme und Beine. Sie funktionieren, es tut kaum weh. Was ihn wesentlich mehr schmerzt als der Sturz, ist die Tatsache, dass Bayj sich nicht um ihn kümmert. Er hört ihn irgendwo im Laub herumschnüffeln. Endlich kommt er, umkreist ihn
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