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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuhn Kuhn
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unterwegs!«, ruft er.
    Die kalte Beklemmung, die ihn gepackt hat, lässt nach. Noldi fühlt sich plötzlich ungeheuer lebendig. Er freut sich auf seine Familie, auf Meret und die Kinder. In Windeseile sperrt er sein Büro zu, rennt zum Auto. Bevor er einsteigt, tippt er noch schnell die Weesener Telefonnummer in sein Handy. Er kann sie zwar auswendig, aber sicher ist sicher. Dann fährt er in recht flottem Tempo von Turbenthal nach Rikon.
    Zu Hause sitzen alle schon um den Tisch. Ihre Älteste mit dem Kleinen ist gekommen und Meret hat Hackbraten gemacht. Dazu gibt es Kartoffelstock.
    Verena hält ihren Sohn auf dem Arm. Er ist kugelrund, seine Mutter dagegen scheint schmäler geworden. Als Noldi sie besorgt fragt, ob wohl alles in Ordnung sei mit ihr, lacht sie über das ganze Gesicht und deutet auf den Kleinen.
    »Schau ihn dir an«, sagt sie strahlend, »er ist ein richtiger Säufer.«
    Mark fuchtelt mit seinen dicken Fingerchen vor dem Gesicht des Großvaters herum und versucht, ihn an der Nase zu packen. Dabei gibt er unartikulierte Töne von sich, eine Mischung aus Gurgeln und Jodeln. Pauli lacht laut heraus. Noldi schaut den Jungen an, sagt dann verblüfft: »Donnerwetter, du bist schon Onkel.«
    Diese Tatsache erstaunt ihn mehr, als dass er selbst Großvater ist.
    Er nimmt Verena das Kind ab, damit sie in Ruhe essen kann. Der Kleine stampft schon wacker auf Noldis Schoß herum. Nur mit seinem Gleichgewichtssinn ist es noch nicht weit her.
    »Den Nachtisch«, verkündet seine Frau, »macht heute Fitzi, und es gibt etwas ganz Besonderes. Das dauert eine Weile, weil es kompliziert und heikel ist.«
    Alle sind beeindruckt, rufen durcheinander, wollen wissen, was es gibt.
    »Zabaione«, sagt Fitzi, und marschiert ab in die Küche.
    Vom Hinterteil seines Enkels steigt ein verdächtiger Geruch auf. Noldi reicht den Kleinen rasch seiner Mutter zurück.
    »Ich glaube«, sagt er, »der hat die Hosen voll.«
    Dann muss er wieder an die Frau in Weesen denken, die er noch immer nicht erreicht hat. Wenn er schon steht, kann er auch auf den Gang hinaus und noch einmal telefonieren. Eigentlich hat er sich vorgenommen, damit bis zum nächsten Morgen zu warten. Er möchte Arbeit und Familienleben nicht durcheinanderbringen. Aber die Aussicht, dass die Tote aus dem Neubrunner Wald womöglich schon bald einen eindeutigen Namen haben könnte, lässt ihm keine Ruhe.
    Verena will mit Mark ins Badezimmer. Er hält ihr die Tür und schleicht in den Hof. Gebannt horcht er draußen wieder auf das ewig gleiche Freizeichen. Wie erwartet oder sogar erhofft, erhält er auch diesmal keine Antwort. Endlich unterbricht er die Verbindung, steckt das Handy ein, schaut in die Finsternis. Der Widerstreit seiner Gefühle beunruhigt ihn. Er wünscht dieser Frau in Weesen bei Gott nichts Böses. Andererseits ist ihm der Gedanke, sich geirrt zu haben, unerträglich.
    Am liebsten, denkt er, würde er auf der Stelle losfahren. Nach Weesen. Doch was sollte er dort tun? Was könnte er tun? Er ist so gut wie sicher, dass er die richtige Frau gefunden hat. Aber sich Zutritt zu der Wohnung verschaffen? Mitten in der Nacht? Und schon wieder hat er das Handy am Ohr, hört auf dem Weg zurück ins Haus immer noch das Freizeichen, plötzlich übertönt von der Stimme seines jüngsten Sohnes.
    »Puh«, schreit Pauli, »ist das süß, da kriegt man einen Zuckerschock!«
    Noldi klappt das Handy zu und stürmt zurück in die Stube.
    »Was hast du da eben von Zucker gesagt, Pauli?«
    Die Familie schaut ihn verdutzt an, der kleine Mark beginnt zu krähen.
    Fitzi sitzt da, aufrecht mit hochgerecktem Kinn.
    »Ich habe gesagt«, erklärt sein Jüngster trotzig, »Fitzis Zabaione ist so süß, dass man daran sterben kann.«
    »Woher willst du das wissen?«, fragt Noldi.
    »Internet«, sagt Pauli, immer noch trotzig.
    »Mach dir nichts daraus, Fitzi«, beruhigt Meret ihre Tochter. »Männer verstehen nichts davon.«
    Noldi setzt sich an den Tisch und beginnt schweigend seine Zabaione zu löffeln. Sie ist wirklich sehr süß, aber dafür zergeht sie wunderbar zart im Mund.
    Sein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Was genau ist ein Zuckerschock, überlegt er. Kann man daran tatsächlich sterben? Zum Beispiel jemand, der Diabetes hat? Berti Walter war auf Insulin angewiesen. Das steht im Befund. Sie hat gespritzt. Wie oft, fragt er sich. Jeden Tag? Mehrmals täglich? Wo hat sie gespritzt? Immer an derselben Stelle. Er erinnert sich, dass im Bericht etwas von Oberschenkel steht.

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