Nachsuche
junge Frau steckt den Kopf herein.
»Störe ich?«
»Nein, nein, komm nur Tina«, erwidert Martin Walter und zu Noldi gewandt: »Das ist meine Assistentin. Ich habe mein Umweltlabor hier im Haus.«
Das Mädchen stürzt ins Zimmer, sinkt neben Berti auf die Knie. Es folgt eine exaltierte Begrüßung, Küsschen hin und Küsschen her. Es ist ein Gekicher, Gezwitscher und Händchenhalten. Menchubertha redet auf die Jüngere ein wie ein Wasserfall. Bei der Geschwindigkeit, mit der sie die Wörter heraussprudelt, wird ihr Akzent so stark, dass Noldi sie nur mehr schwer versteht. Dann hüpft sie Hand in Hand mit der anderen aus dem Raum. Ihr Mann und Noldi scheinen vergessen.
»Sie müssen meine Frau entschuldigen«, sagt Walter mit einem Lächeln. »Sie braucht viel Bewunderung. Sie ist ein Star. Ich bin zum zweiten Mal verheiratet«, fügt er unvermittelt hinzu. Dann sagt er: »Sie kommen also aus dem Tösstal. Interessante Gegend. Ein eigenes kleines Universum, geheimnisvoll und verschwiegen. Ich kenne es. Ich habe dort gebaut. Früher einmal, in meiner Jugend, als ich noch als Architekt tätig war. Bevor mich die Umwelt in Beschlag genommen hat.« Und schon beginnt er, von ökologischer Architektur zu reden.
Noldi hört nicht länger zu. Ihm fällt nur auf, wie sich Martin Walter verändert. Jetzt sitzt er aufrecht. Seine Augen blitzen. Sie haben eine fast magische Kraft. Plötzlich bekommt das Bild im Nebenzimmer eine andere Bedeutung. Er hat den Mann unterschätzt.
Während Martin Walter ins Philosophieren gerät und sich in einem gedanklichen Höhenflug verliert, denkt Noldi, seltsam, für die Tote haben sie sich nicht interessiert, weder die Frau noch der Mann. Sie haben nicht wissen wollen, wie sie umgekommen ist.
»Oh«, sagt Walter unvermittelt, »der Tee wird kalt.«
»Das macht nichts«, erwidert Noldi. »Ich muss ohnehin gehen. Können Sie mir nur noch den Namen und die Adresse Ihrer Putzfrau geben.«
»Sie heißt Shishi Tade«, sagt Walter zögernd. »Ihre genaue Adresse weiß ich nicht. Sie wohnt irgendwo am Hottingerplatz.«
Noldi dankt, wirft einen bedauernden Blick auf die Mandelgipfel, denkt, ist wahrscheinlich besser so.
Dann begleitet ihn Martin Walter hinaus. Im Gang zwitschert es immer noch. Menchubertha wedelt ihm zum Abschied mit der Hand zu, ohne das Gespräch zu unterbrechen.
Noldi geht die Treppe hinunter in den verhangenen Garten, durch das große Eisentor zurück auf die Straße. Er setzt sich ins Auto und atmet tief durch.
Das endlose Geschwätz hat ihn viel Zeit gekostet. Aber ganz umsonst, sagt er sich, war dieser Besuch trotzdem nicht. Er hat zwei neue Hinweise, erstens die Frau Walter in der Einwanderungsbehörde. Das ist zwar lange her. Sie muss heute schon zu alt sein. Aber vielleicht hat sie eine Tochter. Und zweitens die Putzfrau Shishi Tade. Sie, beschließt er, hebt er sich für später auf, denn jetzt muss er unter den weiblichen Walter alle jene heraussuchen, deren Vorname mit einem anderen Buchstaben als B beginnt, aber mit Berti abgekürzt werden kann. Wieso hat er nicht selbst daran gedacht? Was für ein lausiger Ermittler er ist! Da muss erst diese Menchubertha Assunta Garcia daherkommen, um ihn darauf zu bringen.
Nein, sinnlos war der Besuch nicht, nur seltsam. Das ist eine andere Welt, denkt er, eine ganz andere Welt. Dann klappt er, ohne zu wissen, was er tut, die Sonnenblende herunter. Aus dem Spiegel starrt ihm sein Gesicht entgegen. Er mustert es fast erstaunt, da er außer beim Rasieren kaum in den Spiegel schaut. Besonders ist es nicht, findet er jetzt, graue Augen unter geraden Brauen, Falten neben dem Mund, Lachfalten, schmale Lippen, erste weiße Haare an den Schläfen, alles zusammen weder hässlich noch schön, aber sauber, ein solides, sauberes Bauerngesicht.
Arnold Oberholzer stammt aus Langenhard. Das Völkchen da oben besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein. Sie sehen es so, dass sie auf dem Thron der Gemeinde Zell sitzen, hoch über den armen Schluckern unten im Tal, die in die Fabrik gehen. Daher halten sie sich für etwas Besseres. Sie sind nur ein paar Nasen, aber sie haben extra einen kleinen gemischten Chor, einen Armbrustschützenverein, einen Junggesellenclub und einen sehr aktiven Frauenverein. Die meisten Langenharder sind Bauern. Das hängt mit den topografischen Bedingungen zusammen. Auf den Terrassen über dem Fluss gibt es genügend ebenen Boden für Ackerbau und Weideflächen. Der Besitz wird in den Familien von Generation zu
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