Nachsuche
lügt Noldi bereitwillig, doch bei sich denkt er, warum sollte nicht er selbst hinfahren und sich ein wenig umtun. Bisher war alles, was er in diesem Fall unternommen hat, mehr oder weniger Routine, aber nun hat ihn das Jagdfieber gepackt, und er ist in Hochstimmung.
»Jetzt geht etwas«, sagt er zu Hause. Er fasst seiner Frau zärtlich ans Hinterteil und zaust dem Sohn die Haare.
»Ich glaube, wir haben sie. Das hast du ins Rollen gebracht«, wendet er sich an den Jungen.
«Ich fahre jetzt nach Weesen. Dort hat sie gewohnt.«
Pauli strahlt. »Kann ich mitkommen?«, fragt er eifrig.
»Lieber nicht. Weißt du«, gesteht Noldi, »was ich mache, ist nicht, wie soll ich es nennen, nicht ganz korrekt, und du darfst auch niemandem etwas sagen. Verstehst du, dass ich in diesem Fall besser allein unterwegs bin. Aber ich erzähle dir nachher alles ganz genau.«
Pauli passt das zwar nicht, aber, denkt er bekümmert, jetzt hält er besser den Mund. Er bewundert seinen Vater. Trotzdem hat er manchmal das Gefühl, ihn behüten zu müssen. So wie er Bayj behüten möchte, damit ihm nichts passiert.
Als Noldi sich von seiner Frau verabschieden will, nimmt sie ihn vorne am Hemdkragen.
»Träumst du dir da etwas zusammen?«, fragt sie, »Warum gerade Weesen? Wie kommt jemand aus Weesen in den Neubrunner Wald?«
»Du glaubst nicht, dass sie es ist«, sagt Noldi. »Vielleicht war sie hier irgendwo auf Besuch.«
»Und wo?«, will Meret wissen.
»In Turbenthal, in Bichelsee, Balterswil, da herum. Oder sogar in einem der Häuser dort direkt im Tal.«
»Möglich«, räumt Meret ein. »Aber im Negligé? Dort wohnen nur Familien. Übrigens, meine Schwester hat erzählt, dass sich Hans das Hirn zermartert, ob es bei uns in der Gegend einen Mörder gibt.«
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Mir fällt keiner ein, dem ich einen Mord zutraue. Schließlich kann es auch ganz anders gewesen sein. Vielleicht hat man sie hierher gebracht, um Spuren zu verwischen.«
»Aber ausgerechnet von Weesen?«
»Warum nicht. So weit ist es nicht. Ich schätze, du fährst eine Stunde, und bei wenig Verkehr schaffst du es schneller. Das werde ich jetzt gleich ausprobieren.«
»Sei vorsichtig«, sagt sie.
Er schaut ihr in die Augen und nickt.
»Versprochen.«
Sehr feucht küsst er sie auf den Mund und gleich noch einmal, dann läuft er vor seiner eigenen Rührung davon.
Noldi lernte seine zukünftige Frau auf einer Frühlingsfahrt der SBB kennen. Die Schweizer Bundesbahnen boten solche Reisen zu günstigen Preisen an, und für Meret, die Tochter eines Eisenbahners, gab es noch zusätzlich Rabatt. Sie wollte nach den langen Wintertagen endlich wieder etwas Grünes sehen.
Meret war damals Nähschullehrerin in Marthalen, ihrem Heimatort. Sie liebte ihren Beruf und genoss den Handarbeitsunterricht, ganz besonders mit den Buben, die, wie sie fand, besonders begabt in dem Fach seien.
Die junge Frau stach Noldi schon auf dem Bahnsteig wie ein Sonnenstrahl in die Augen. Beim Mittagessen in Lugano, im Preis der Reise inbegriffen, saßen sie zufällig am gleichen Tisch. Sie wechselten kaum ein Wort miteinander, obwohl da schon zwischen ihnen beiden die Funken sprühten. Erst beim Abschied fragte Noldi sie um ihre Telefonnummer. Dann dauerte es zehn Tage, in denen er nervös war und schlecht schlief. Er überlegte hin und her, sollte er sich bei ihr melden oder doch nicht. Am zehnten Tag schrieb er ihr einen Brief.
Er telefonierte nicht, er schrieb. Dass sie ihm so gut gefallen habe und er sie gerne wiedersehen möchte.
Tatsächlich trafen sie sich ein paar Tage später in Winterthur. Sie saßen vor dem Café Vollenweider. Es war einer der ersten milden Vorfrühlingsabende. Beide bestellten dasselbe, ein belegtes Brot und ein Glas Bier. Dann musste Noldi plötzlich weg, er war im Dienst, und es hatte sich einer aufgehängt. Er schob den Stuhl zurück, beugte sich über den Tisch, küsste Meret auf den Mund. In der Aufregung vergaß er zu bezahlen und ließ seine Angebetete samt der Rechnung für sie beide sitzen.
Als er sich das nächste Mal bei ihr meldete, sagte er, diesmal hätte er frei, ob sie mit ihm einen Ausflug machen wolle. Auch Meret hatte frei. Sie trafen sich in Rämismühle auf dem Bahnhof. Noldi führte seinen Schwarm übers Gyrenbad auf den Schauenberg. Das war ein Heimspiel für ihn, und er fand, er könne es brauchen. Auf dem Weg war er vor Freude halb verrückt. Oben angekommen, erzählte er ihr eifrig von der ehemaligen Burg
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