Nachsuche
Generation weitergegeben. Zum Glück für die Langenharder ist weitaus der größte Teil der Hochebene als Landwirtschaftszone eingestuft. Sonst wäre in dieser bevorzugten Lage längst alles so überbaut wie der Bolsternbuck in Kollbrunn. Dort würde Noldi um nichts in der Welt wohnen wollen, weil es so viele Häuser gibt, dass man beim Blick aus dem Fenster nur dem Nachbarn in die Stube schaut.
Noldi ist der Sohn einer alteingesessenen Familie. Sein Vater, Bruno, diente während des Zweiten Weltkrieges als Grenzwachtsoldat in Arbon. Dort lernte er seine spätere Frau, eine Thurgauerin, kennen. Es war ein kurioses Zusammentreffen. Die langen Tage der Grenzbesetzung zerrten an den Nerven der Männer. Nie wusste man, was passierte, ob der Feind plötzlich dastünde und man auf einen lebenden Menschen, statt auf Scheiben schießen müsste. Andererseits waren die Stunden auf der Wache endlos. Man ging auf und ab und ab und auf, wenn es kalt war, fror man, regnete es, wurde man nass und nichts passierte.
Die Soldaten kamen auf dumme Gedanken. Nicht wenige davon drehten sich um Frauen. Man war nicht wählerisch, konnte es gar nicht sein, und plötzlich hatte die halbe Kompanie Filzläuse, offenbar von ein und derselben Person. Bruno Oberholzer blieb von ihr und den Läusen verschont. Er fand das Objekt der allgemeinen Begierde, eine Serviererin, einfach scheußlich. Gutmütig bot er sich an, in den Laden zu gehen und Petroleum für die Läuse-Kur der Kameraden zu besorgen. Die junge Verkäuferin wollte wissen, wozu er das Petroleum brauche, und er wurde rot. Er stotterte irgendetwas, sie warf ihm einen schelmischen Blick zu, weil sie dachte, er sei ihretwegen so verlegen. Sie hielt ihn für schüchtern. Als sie ihn das nächste Mal wiedersah, ergriff sie die Initiative. Darauf dauerte es nicht lang und sie waren ein Paar.
1944 heirateten sie. Bruno wurde für seine Verdienste im Aktivdienst zum Wachtmeister befördert. Er kehrte mit der Auszeichnung und seiner jungen Frau nach Langenhard zurück. Dort übernahm er den väterlichen Hof. Sie hatten drei Kinder, einen Jungen und zwei Mädchen. Wie alle Söhne und Töchter der Langenharder ging Arnold in dem Haus mit dem kleinen Glockenturm zur Schule. Dort wurden damals noch Kinder aller Altersstufen in einem einzigen Klassenraum unterrichtet. Lehrer Huwyler war trotz oder gerade wegen des Sechsklassen-Systems sehr erfolgreich. Die meisten seiner Schüler erreichten Oberstufenreife. Unter ihnen war auch Noldi, der nach dem Willen des Vaters die Landwirtschaftsschule besuchen sollte. Doch der junge Mann hatte andere Zukunftspläne. Er begann eine Lehre als Automechaniker. Nach dem Abschluss nahm er eine Stelle in einer Garage an, war dort aber todunglücklich. Er hatte einen unausstehlichen Chef, der ihn nie selbständig arbeiten ließ. Da entdeckte er in der Zeitung ein Inserat der Kantonspolizei, die Rekruten suchte. Mit seinem Lehrabschluss rechnete er sich gute Chancen aus und wurde tatsächlich angenommen. Auf der Polizeischule fühlte er sich wohl. Die Ausbildung war spannend und die Arbeit gefiel ihm.
7. Essiggurken, Mais und Confitüre
Aus Zürich zurückgekehrt, fährt Noldi noch einmal ins Büro. Dort setzt er sich sofort an den Computer. Er sucht nach den Bertis, deren Namen nicht mit einem B beginnen, und wird gleich bei einer Adalberta Walter in Weesen fündig, beziehungsweise nicht fündig. Niemand meldet sich. Er telefoniert wieder und wieder, ist jedes Mal aufs Neue wie hypnotisiert vom Freizeichen, denkt einerseits: Jetzt, jetzt hebt sie ab oder irgendwer sonst, und das war es dann. Andererseits wird er das Gefühl nicht los, das ist die Frau, die er sucht. Er weiß es und weiß, dass er es nicht wissen kann, horcht ins Telefon, ob das Freizeichen verstummt. Er muss sich ernsthaft zusammenreißen, damit er nicht sofort wieder wählt. Er sagt sich, auch wenn sich am anderen Ende keiner meldet, was beweist das? Nichts, und schon gar nicht, dass es sich tatsächlich um die Tote handelt. Diese Adalberta kann irgendwo sein, bei der Arbeit, im Ausgang, in den Ferien. Trotzdem gibt er nicht auf. Gut, denkt er, dass ihn keiner sieht. Ihm ist klar, er führt sich kindisch auf, aber er steht wie unter Zwang.
Da meldet sich das Handy im Hosensack. Seine Frau ruft an. Er lacht vor Erleichterung, als hätte man ihn aus einem Albtraum geweckt.
»Meret du?«
»Ja«, sagt sie. »Warum kommst du nicht nach Hause? Es ist Zeit fürs Abendessen.«
»Bin schon
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