Nachsuche
auf Besuch? Hat sich dort ausgezogen und umgebracht? Das glaubst du doch auch nicht. Also wurde sie umgebracht? Zuerst habe ich gedacht, es müsste jemand mit medizinischem Hintergrund sein. Einer, den sie nahe genug an sich herangelassen hat, ein Arzt oder ihre Freundin. Die ist Krankenschwester. Aber inzwischen bin ich eher davon abgekommen. Die hätten die Leiche nicht beseitigen müssen. Sie wissen, man kann ihnen kaum etwas nachweisen, wenn sie nicht gerade ihre Fingerabdrücke auf der Spritze hinterlassen.«
»Andererseits muss derjenige wissen, dass eine Überdosis Insulin tödlich sein kann«, sagt Beer.
»Eben. Und er muss mit einer Spritze umgehen können. Das ist ebenfalls ein Punkt«, ergänzt Noldi.
»Ja, also halten wir fest«, sagt der Chef, »wir suchen jemanden, der weiß, erstens, dass sie zuckerkrank war, zweitens, dass man mit Insulin töten kann. Drittens, einer, den sie nahe genug an sich hergelassen hat, und viertens, der stark genug ist, die Leiche in den Wald zu schleppen. Hilft dir das weiter?«
»Ich glaube schon«, sagt Noldi.
Aufmüpfig denkt er, als hätte er das alles nicht schon selbst herausgefunden.
Beer sieht ihn fragend an, dann lacht er kurz und trocken und sagt: »Ich weiß, ich weiß, es kann auch ganz anders sein.«
Nach einer Pause, in der er Noldi sorgsam mustert, fragt er: »Brauchst du Verstärkung?«
Noldi hat eine heftige Antwort schon auf der Zunge. Er würde am liebsten sagen, dass sie ihm den Fall zugeschoben haben, gegen seinen Willen, und dass es jetzt sein Fall ist. Und man ihn einfach in Ruhe lassen soll. Das schluckt er aber hinunter, er will Beer nicht reizen. So lehnt er das Angebot nur dankend ab.
Der Chef ist sichtlich erleichtert. Er wüsste, gesteht er, gar nicht, wen er dafür hätte aufbieten sollen.
»Kohler ist ausgefallen«, sagt er, »der hat ein Magengeschwür, Ruedi Rathgeb ist auf Vaterschaftsurlaub. Und die Gewaltprävention läuft. Das gibt ebenfalls zu tun.«
Noldi denkt, kein Wunder, dass der Kohler es mit dem Magen hat. So sauer, wie der immer dreinschaut. Plötzlich überlegt er, oder ist es umgekehrt? Ist er sauer, weil er mit dem Magen zu tun hat?
Dann schießt ihm der Gedanke durch den Kopf, ob er nicht den Fall Walter auch umdrehen könnte. Alles von der anderen Seite her ansehen. Wo müsste man da anfangen? Beim Wald? Wieso ist sie gerade in diesem Wald gelandet und nicht im Walensee, wenn sie schon dort gewohnt hat?
Langsam sagt er, irgendwo muss es etwas geben, das erklärt, warum gerade der Neubrunner Wald . Irgendetwas.
Er möchte sich Bertis Wohnung noch einmal ansehen. Diesmal, denkt er, er macht es amtlich. Beer hat ihn zwar bis jetzt an der langen Leine gelassen. Aber Noldi weiß nicht, wie viele Extratouren er sich noch leisten kann. Vor allem, wo er praktisch keine Ergebnisse aufzuweisen hat.
Hans Beer ist ein toleranter Chef, einer, der sich nicht unnötig mit Kleinigkeiten aufhält. Aber wenn ihm etwas zu weit geht, kann er scharf reagieren. Äußerst scharf. Deshalb findet Noldi, Vorsicht sei die Mutter der Porzellankiste.
Beer schaut ihn an. »Das heißt«, sagt er, »du willst noch einmal in die Wohnung, weil du meinst, dort ist eventuell noch etwas zu holen.«
»Ich denke«, sagt Noldi diplomatisch, »wenn wir herausbekommen, warum sie in diesem Wald gelandet ist, haben wir vermutlich auch den Mörder. Und wenn wir eine Chance haben, das zu finden, dann doch am ehesten in ihrer Wohnung.«
Beer versteht Noldis Wink.
»Ja«, sagt er und lächelt jetzt. »Ich veranlasse das Nötige bei den Kollegen in St. Gallen. Hochoffiziell. Dann kannst du dir Zeit nehmen. Und ich drücke dir die Daumen.«
11. Schützenkönigin
Nachdem er mit Ilse Biber Mist gebaut hat, wie er es empfindet, entscheidet Noldi sich für einen Frontalangriff auf Frau Rüdisühli. Er überlegt noch einmal, ob er sie ohne ihren Mann befragen soll oder beide zusammen. Ihm ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, was passiert, wenn die Frau erfährt, dass ihr Mann sie betrügt. Andererseits, denkt er, bis jetzt sind seine Ermittlungen nicht besonders weit gediehen. Er kann sich also keine große Rücksichtnahme leisten. Trotzdem zögert er. Da kommt ein Zufall ihm zu Hilfe.
Der Gemeindeschießverein Zell hält wie jeden November das Jahresendschießen mit Gästen im Schützenhaus Rikon ab. Noldi ist seit vielen Jahren Kassier des Vereins. Wie immer organisieren er und der Präsident den Anlass.
Noch vor Morgengrauen sind die beiden Männer
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