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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuhn Kuhn
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schon im Schützenhaus und kontrollieren die elektronische Scheibenanlage. Dabei stellt sich heraus, dass von den zehn nur acht hochgehen. Sie suchen krampfhaft nach dem Fehler, können aber nichts finden. In aller Eile bieten sie den Elektriker auf. Er nimmt die Anlage unter die Lupe und stellt gerade noch rechtzeitig fest, eine Maus hat das Elektrokabel angeknabbert. In letzter Minute, bevor das Schießen beginnt, ist der Schaden behoben.
    Wie immer sitzen sie zu dritt am Schalter im Schützenhaus. Der Erste begrüßt die Schützen, vor sich den Karteikasten, in dem das vorbereitete Standblatt steckt. Dann kommt Noldi, der das Geld kassiert. Der Dritte gibt die Munition ab. Bei dem unerwarteten Ansturm haben die drei alle Hände voll zu tun.
    In einer Pause beugt sich der Präsident zu Noldi und sagt: »Was für ein Glück, dass wir den Kabelschaden noch rechtzeitig gefunden haben. Wäre mühsam, mit nur acht Scheiben bei diesem Andrang. Das sind einige Schützen mehr als im vorigen Jahr.«
    Noldi lacht.
    »Erinnerst du dich noch«, sagt er, »als wir nur vier Scheiben hatten?«
    Der Präsident antwortet nicht, denn vor ihm steht schon der nächste Kunde.
    Diesmal ist es eine Frau, eine Walküre, eine Amazone in feuerroter Steppjacke, das Sturmgewehr im Arm. Ihr Haar ist dicht, der Teint dunkel. Sie hat eine kräftige, gebogene Nase und hohe Wangenknochen. Um den Mund liegt ein harter Zug. Überhaupt macht sich in dem Gesicht eine gewisse Schärfe breit. Vielleicht ist es auch Schwermut. Als sie ihren Namen nennt, fällt Noldi das Geld aus der Hand, das er gerade in die Kasse legen will.
    Ottilia Rüdisühli.
    Das gibt es nicht, denkt er. Möglicherweise handelt es sich um eine Namensgleichheit. Dabei schaut er sie immer noch an und überlegt, kann es sein, dass sie eine Mörderin ist?
    Sie missversteht seinen Blick und hält ihm ihre Zwanzigernote mit einem Lächeln hin, das zugleich hochmütig und scheu ist. Eine Meisterleistung in puncto Verführung, denkt er. Nein, nicht Verführung, das ist es nicht. Aber was ist es dann?
    Er reißt sich zusammen.
    »Zehn Schuss und zwei zur Probe macht achtzehn Franken«, schnarrt er und gibt ihr ein Zweifrankenstück heraus.
    Mit einem Finger schiebt sie ihm die Münze wieder zu.
    »Danke«, sagt sie, »stimmt schon.«
    Sie bezieht die Munition am Nebenschalter und verschwindet im Schießstand.
    In der ersten Schießpause schleicht er aus dem Stand.
    Die Frau sitzt draußen unter dem Zeltdach der Festwirtschaft, irgendwie verloren, ein Glas Rotwein vor sich. Er schlendert an ihr vorbei und sagt leichthin: »Ah, das Zielwasser.«
    Sie beachtet ihn nicht einmal. Zu seiner Erleichterung kommt in dem Moment Meret, die wie die Frauen anderer Vereinsmitglieder bei der Organisation der Anlässe mithilft.
    Er nimmt sie zur Seite und flüstert: »Du, die Frau vom Rüdisühli ist da. Du weißt, das ist der mit dem Reh. Ich kann nicht von der Kasse weg. Schau du, ob du mit ihr ins Gespräch kommst. Horch sie ein bisschen aus. Ihr Frauen tut euch da leichter.«
    Nachdem er Meret auf Ottilia Rüdisühli angesetzt hat, nimmt er sich die Anmeldeliste vor. Darauf steht, dass sie Mitglied im Schießverein Wil ist. Er überlegt, ob er dort jemanden kennt, den er über sie ausfragen könnte, verwirft die Idee aber wieder. Dann weiß der ganze Ort, dass sich die Polizei für die Frau interessiert. So etwas will er ihr nicht unnötig antun. In einer Pause, als gerade keine neuen Gäste kommen, erkundigt er sich beim Präsidenten, ob er mehr über die Schützin wisse. Doch auch der hat sie noch nie gesehen.

    Die kleine Ottilia war ein braves Mädchen. Sie machte ihren Eltern nur Freude, besonders dem Vater. Sehr früh fand sie heraus, wie man gefällt, und dieses Muster wurde sie nie mehr los. Sie gefiel den Männern, nicht weil sie besonders schön war, sondern weil sie so genau wusste, wie man es anstellen muss, zu gefallen. In der Schule waren ihre Leistungen schwach. Sie kam gerade so mit. Dabei war sie nicht dumm, doch ihr einziges Interesse galt dem Sport. Sie betrieb schon in jungen Jahren Leichtathletik, war durchaus erfolgreich, nur für Spitzenleistungen fehlte ihr die Disziplin. Niederlagen konnte sie nicht ertragen und neigte dann zu Depressionen. Sie entwickelte sich zu einem attraktiven Mädchen mit schwarzen wilden Haaren und schönen hohen Jochbögen. Die Wangen darunter waren vielleicht eine Spur zu hager. Sie hatte einen kräftigen Körperbau und eine sonnenbraune Haut. Als sie

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