Nachsuche
erkannt?«
»Nein«, sagt sie verwundert.
»Aber sie haben vielleicht gehört, dass sie eine Klientin von Herrn Kläui war.«
»Das war lange vor meiner Zeit«, antwortet sie. »Immerhin, man schnappt so das eine oder andere auf. « Dass der Notar mit ihr ein Verhältnis gehabt hätte. Dass damit aber Schluss gewesen sei, bevor sie selbst in der Kanzlei angefangen habe.
»Herr Kläui war möglicherweise in Weesen, wo Berti Walter gewohnt hat«, sagt Noldi. »Man hat ihn mit ihr gesehen. Am nächsten Tag war sie tot. Ermordet.«
Sie reagiert weniger geschockt, als er erwartet. Sie sagt nur, sie glaube nicht, dass der Notar etwas damit zu tun habe. Wenn er dort gewesen sei, könne das auch ein Zufall sein. Vielleicht habe er einen Klienten besucht.
Gute Idee, denkt er bei sich und nimmt sich vor, Vreni Narayan danach zu fragen.
Laut sagt er zu der jungen Frau: »Ja, sehen Sie, da Ihr Chef zurzeit sozusagen verhindert ist, müssen wir versuchen, sein Alibi auf andere Weise zu klären.«
»Und deshalb wollen Sie wissen, wo ich am 10.11. war?«, erkundigt sie sich ein wenig ungläubig.
Er erklärt ihr, dass zunächst für die Polizei alle Personen im Umfeld eines Ermordeten verdächtig seien. Dann versuche man, herauszufinden, wo sich jeder Einzelne zum Todeszeitpunkt aufgehalten habe. Auf diese Weise, sagt er, könne man den Kreis der Verdächtigen eingrenzen.
»Außer, jemand hat den Mord in Auftrag gegeben«, wirft sie jetzt eifrig ein.
»Genau«, stimmt Noldi ihr zu. »Dazu kommen wir in einem zweiten Schritt. Zuerst überprüfen wir, wer in dem Zeitraster übrig bleibt, der nicht sagen kann oder will, wo er war. Die nächste Frage ist dann, hat er eine Beziehung zu der Toten, profitiert er von ihrem Tod.«
Die junge Frau schaut ihn unverwandt an.
Noldi ist überrascht von ihrem Interesse. Er denkt, sieh da, sie ist nicht ganz so unbedarft, wie sie scheint.
»Und wenn die Leute nicht die Wahrheit sagen?«, fragt sie.
»Um das herauszufinden«, erklärt er, »müssen wir jedes Alibi überprüfen. Wir fragen kreuz und quer herum, ob und wer was bestätigt.«
»An dem Nachmittag«, sagt sie unvermittelt, »waren wir alle im Büro. Ich weiß das so genau, weil es mein Geburtstag war. Mein Einundzwanzigster. Frau Narayan hat einen Kuchen für mich gebacken, und wir haben ein wenig gefeiert.«
»Herr Kläui auch?«, fragt Noldi gespannt.
»Nein, der nicht. Der ist kaum bei solchen Anlässen dabei. Überhaupt ist er häufig auswärts. Viele Klienten kommen nur zum Vertragsabschluss in die Kanzlei.«
Noldi fällt noch etwas ein.
»Haben Sie jemals den Eindruck gehabt, dass da etwas zwischen Herrn Kläui und Frau Narayan war oder ist?«
Daran habe sie noch nie gedacht, sagt sie und setzt dann nachdenklich hinzu: »Ich glaube nicht. Die Narayan ist mit ihrem Sohn verheiratet.«
»Und Ihre jetzige Kollegin?«, fragt Noldi.
»Die ist eine entfernte Verwandte von Frau Kläui. Das ist manchmal schwierig. Man muss aufpassen, was man sagt. Aber sonst ist sie nett.«
Das ist sie, denkt Noldi, als er sich auch mit der zweiten Angestellten der Kanzlei Kläui im Kaffeehaus trifft. Sie ist eine kleine, lebhafte ebenfalls blutjunge Frau, eigentlich ein Mädchen noch, hübsch, weniger herausgeputzt als die andere. Sie trägt Jeans, Stiefel und einen handgestrickten roten Pulli.
Noldi fragt auch sie, wo sie Dienstag, den 10.11. nachmittags gewesen sei.
»Uff«, sagt sie und blättert lachend in ihrer Agenda. Dann bestätigt sie die Aussage der Kollegin.
Im Übrigen hat sie genau so wenig Ahnung wie diese. Sie ist ebenfalls erheitert über die Idee, Vreni Narayan und der Notar könnten etwas miteinander haben. Über das Verhältnis zwischen Kläui und Berti Walter weiß sie nur, was in der Familie darüber geredet wurde und was sie sich aus Andeutungen zusammenreimte. Auch arbeitet sie noch nicht so lange in der Kanzlei, um die Affäre miterlebt zu haben. Noldis Fragen langweilen sie, sie hört kaum zu. Stattdessen schaut sie immer wieder verstohlen unter den Tisch. Als sie ihre Hand einmal ausstreckt, bemerkt Noldi einen hübschen kleinen Ring an ihrem Finger.
»Haben Sie einen Freund?«, fragt er ganz unvermittelt.
Sie wird rot, lacht und nickt.
»Wir haben uns gestern verlobt.«
Kein Wunder, dass sie nichts von den Verhältnissen im Büro mitbekommt, denkt Noldi, als er zu seinem Auto geht. Frisch verliebt, verlobt. Da ist man mit sich selbst beschäftigt. Er grinst in sich hinein, als er sich an seine erste
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