Nachsuche
und war froh, wenn keiner etwas von ihr wollte, geschweige denn sie anfasste. Ihren Mann hatte sie nach den ersten Nächten, in denen weder er noch sie ein Auge zugetan hatte, ins Gästezimmer verbannt.
Er fing an, abends ins Wirtshaus zu gehen. In seinen schwärzesten Momenten hielt er seine Ehe für gescheitert. Meret schien das alles egal zu sein, auch, dass ihr Mann spätabends alles andere als nüchtern nach Hause kam. Sie verbot ihm einzig, angetrunken im Schlafzimmer zu erscheinen. Das hatte er nach seinem ersten Wirtshausbesuch versucht. Er wollte seine Frau wieder, Kinder hin oder her. Er hatte sich auf das Bett geworfen, war laut geworden, als Meret ihn zurückwies. Er war in seiner Verzweiflung nahe daran, sie zu packen, zu schütteln, am liebsten hätte er geweint. Der Säugling fing an zu brüllen und Meret warf ihren Mann kurzerhand aus dem Zimmer.
Ihr Vater konnte nicht mit ansehen, wie elend seine geliebte Tochter war, stellte den Schwiegersohn wütend zur Rede. Noldi war so verzweifelt, dass er die Zähne nicht auseinander brachte. Er drehte sich einfach um und ließ den Schwiegervater sprachlos vor Empörung stehen.
Da erschien Merets Mutter auf der Bildfläche, packte die kleine Vreni zusammen und nahm sie mit nach Marthalen. Für Meret war das ein Segen. Durch die plötzliche Entlastung wachte sie aus ihrer Betäubung auf und fand ihren gesunden Menschenverstand wieder. Als Noldi abends ins Wirtshaus abschleichen wollte, stellte sie ihn im Flur.
»Stopp«, sagte sie, »heute hast du Nachtdienst. Die Milch ist in der Küche warm gestellt. Ich schlafe im Gästezimmer.«
Erst protestierte er, sagte, das könne er nicht, er habe sich noch nie um den Säugling gekümmert.
Doch Meret fertigte ihn freundlich mit der Bemerkung ab: »Keine Sorge, du schaffst das.«
So betreute Noldi in dieser Nacht seinen Sohn, fütterte und wickelte ihn, und am nächsten Morgen war seine Welt in Ordnung. Er und Meret schliefen wieder gemeinsam im Ehebett. Die einzige schwere Krise ihrer Ehe war vorüber. Felizitas, ihr nächstes Kind, kam dann allerdings erst nach fünf Jahren.
Und jetzt, denkt Noldi voll Staunen, als er nach der Befragung der Angestellten im Büro Kläui wieder im Auto sitzt, ist Fitzi sechzehn. Da fällt ihm ein, dass sie mit ihrer Klasse am nächsten Abend Premiere hat. In dieser komischen Show, denkt er, tritt sein kleines Mädchen in Strapsen auf. Verständnislos schüttelt er den Kopf. Er hält nichts von diesem neumodischen Zeug an den Schulen. Wieso genügt es nicht, sich ein solides Grundwissen anzueignen, ein wenig Sport zu treiben und zwei Mal im Jahr auf Schulreise zu gehen? Na ja, er gibt zu, manches ist schon recht am neuen Unterrichtssystem, aber man muss nicht gleich übertreiben. Wozu soll das ganze Theater gut sein? Und wenn schon, warum führen sie dann nicht den Wilhelm Tell auf. Oder sonst einen Klassiker. Die Rocky Horror Show, hat seine Tochter ihm erklärt, sei allerdings auch bereits ein Klassiker. Da gibt es nichts zu berichten, denkt er, ich bin schon bald ein alter Klaus.
12. Galerieverein Winterthur
Die Premiere der Rocky Horror Show findet an einem Freitag statt. Fitzi gibt sich vor der Aufführung gelassen. Ihr Vater aber hört, wie scharf der Ton ist, in dem sie den kleinen Bruder zurechtweist, als er versucht, sie aufzuziehen.
Noldi nimmt seine Tochter um die Schultern und sagt zu ihr: »Fitzi, ich weiß, du wirst großartig sein.«
Sie sieht ihn von unten her halb belustigt, halb zweifelnd an, dann küsst sie ihn auf die Wange.
Auch Meret ist aufgeregt, möglicherweise mehr als ihre Tochter.
Zu ihr sagt Noldi im Schlafzimmer, während sie sich für den Abend umziehen: »Du hast schon schwierigere Situationen überlebt.«
»Klar«, antwortet sie, »aber da war ich beschäftigt. Heute kann ich nur zuschauen. Das bin ich nicht gewöhnt.«
Noldi lacht, fasst seine Frau, die noch in der Unterwäsche vor ihm steht, um die Hüften. Er versucht, sie zwischen den Brüsten zu kitzeln. Sie schlägt ihm auf die Finger und küsst ihn.
»Beeil dich«, sagt sie, »Felizitas muss pünktlich sein.«
Noldi schaut seine Frau scharf an.
Meret lacht.
»Möglicherweise wirst du dich daran gewöhnen müssen, dass sie mit ihrem richtigen Namen gerufen werden will.«
»Ach, Unsinn«, sagt er, wirft sich rasch in Schale, staunt selbst, wie ruhig er ist. Er bindet seine Krawatte in Rekordzeit. Der Knoten sitzt schon beim ersten Versuch perfekt. Dann packt er Frau und Kinder
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