Nachsuche
sich schämen, so etwas auch nur zu denken.«
»Es ist mein Job«, sagt Noldi, aber das lässt sie nicht gelten.
»Ich behaupte doch nicht, dass er sie umgebracht hat«, verteidigt sich Noldi. »Mich interessiert nur, ob Sie etwas wissen, das mir hilft, ihren Mörder zu finden.«
»Ich weiß nichts«, sagt Vreni Narayan darauf brüsk. »Da müssen Sie woanders hingehen.«
»Mache ich«, versichert Noldi, »geben Sie mir einen Tipp, wohin.«
Sie antwortet nicht und er bohrt nicht weiter. Mit Müh und Not entreißt er ihr die Namen und Adressen der zwei jungen Frauen, die im Notariat arbeiten.
Dann verabschiedet er sich, dreht sich aber in der Tür noch einmal um, fragt beiläufig: »Übrigens, wo waren Sie am Dienstag, den 10.11. Nachmittag?«
Vreni Narayan runzelt die Stirn.
»Hier«, sagt sie nach einer Weile.
»Auch nach Büroschluss noch?«, fragt Noldi.
»Ja«, sagt sie.
Dann versteht sie und setzt, fast boshaft, hinzu: »Aber der Herr Notar war nicht da, wenn Sie das meinen.«
Noldi meint gar nichts. Er ist nur höchst erfreut.
»Was bedeutet«, sagt er, »dass Ihr Herr Notar kein Alibi hat.«
Die Frau schaut ihn an.
»Das hat er nicht nötig«, erklärt sie kühl.
Als er nicht antwortet, setzt sie heftiger hinzu: »Da war nichts zwischen den beiden, das können Sie mir glauben.«
Wie oft, denkt Noldi, muss er in seinem Beruf hören, dass er jemandem glauben könne, und wie oft trifft das Gegenteil zu. Er sollte sich ein wenig umhören. Möglicherweise war etwas zwischen der wortkargen Frau Narayan und dem Notar. Dann wäre Berti eine Nebenbuhlerin oder sogar ihre glückliche Nachfolgerin gewesen.
Eifersucht ist als Motiv immer gut. Aber vielleicht ist die Frau wirklich loyal ihrem Chef gegenüber.
Er sollte sich alle möglichen Motive, die ihm einfallen, notieren. Schadet nichts, sagt er sich, wenn man sie schwarz auf weiß vor sich hat. Und er muss seine Liste mit den Verdächtigen ergänzen. Die, denkt er, wird immer länger. Das ist ihm in seiner Laufbahn noch nicht passiert. Bei allen Fällen, in denen er bis jetzt ermittelt hat, war die Auswahl der Beteiligten eher beschränkt.
Während Vreni Narayan gemauert hat, ist ihre jüngere Kollegin gern bereit, Klatsch zu verbreiten. Sie sitzt ihm im Kaffeehaus gegenüber und legt genüsslich los. Leider konzentriert sich ihr Interesse nicht auf den Notar, mit dem sie kaum zu tun hat, wie sie sagt, sondern auf die Bürovorsteherin, Vreni Narayan. Diese, vertraut sie ihm an, sei mit einem Tamilen verheiratet gewesen. Aber er sei längst wieder ab nach Indien, während sie mit dem Sohn in der Schweiz geblieben sei.
Als Noldi nicht reagiert, plappert sie weiter.
»Die Narayans, die waren ein komisches Paar. Er klein und dünn, sie groß und dick. Sie war früher viel dicker. Und der Sohn ist ein Riese. Ein echt wilder Typ.«
»Woher wissen Sie das?«, fragt Noldi.
»Er kommt seine Mutter manchmal im Notariat abholen.«
»Ja, aber das von dem Mann, wenn er gar nicht mehr in der Schweiz ist?«
»Von einer Kollegin, die früher in der Kanzlei gearbeitet hat«, sagt sie. »Sie war mit dem Sohn befreundet. Sie fand ihn toll und auch mit der Frau Narayan hat sie sich gut verstanden. Die hat ihr sogar den Job in der Kanzlei verschafft. Alles Wonne und Waschtrog, bis der Sohn wollte, dass sie mit ihm bei der Mutter wohnt. Da hat sie die Notbremse gezogen. Frau Narayan war nicht einmal sauer, als sie ihm den Laufpass gegeben hat. Im Gegenteil, so hatte sie den Sohn wieder für sich. Was sie zum Glück nicht gewusst hat, war, dass seine Freundin damals schwanger gewesen ist von ihm. Das hätte ihr Mutter Narayan nie verziehen.«
»Was?«, fragt Noldi.
»Sie wollte das Kind nicht. Hat abgetrieben«, sagt die junge Frau mit einem leisen Schauer. »Nach der Trennung von ihrem Freund. Inzwischen hat der Sohn eine andere und wohnt, was glauben Sie, wo? Richtig, bei seiner Mutter.«
Noldi lässt sie reden. Er weiß aus Erfahrung, dass die Leute, wenn sie einmal im Schuss sind, auch Sachen sagen, die sie lieber für sich behalten würden.
Dann fragt er: »Wo waren Sie Dienstag, den 10.11. Nachmittag?«
Sein Gegenüber reißt die Augen auf.
»Fragen stellen Sie.«
»Ja«, sagt Noldi schlicht.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Reine Routine. Sie haben vielleicht von der Leiche im Neubrunnertal gehört.«
»Ja«, antwortet sie sofort. »Ich habe die Meldung in der Zeitung gelesen und auch das Foto gesehen.«
»Haben Sie die Tote
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