Nachsuche
fragt sie.
»Hat sie doch selbst immer erzählt«, antwortet die Ältere.
Dann sitzen die beiden Frauen mit hängenden Schultern da. Stumm.
Noldi wartet ein paar Augenblicke, ehe er fragt: »Wo waren Sie Dienstag, den 10.11.?«
»Na, hier, im Laden«, antwortet Mariola arglos und Elsbeth Wehrli ergänzt: »Ich war einmal weg. Ich hatte eine Pause zwischen zwei Kundinnen und bin rasch etwas kaufen gegangen.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Klar«, sagt Mariola, »Sie können in unserem Terminkalender nachschauen.«
»Und bei Ihnen?«, fragt Noldi die ältere Frau. »Wenn Sie eingekauft haben, gibt es vielleicht einen Beleg«, sagt er ermunternd.
Elsbeth Wehrli hebt ratlos die Schultern. »Um Viertel nach fünf«, sagt sie, »war ich zurück im Geschäft. Da hatte ich wieder eine Kundin.«
Dann holt sie doch ihre Handtasche, kramt darin herum und zeigt ihm schließlich einen Kassenzettel, der um viertel vor fünf ausgestellt ist.
Das ist nicht viel, denkt Noldi, aber besser als nichts. Er wechselt das Thema.
»Wie war sie eigentlich, Ihre Chefin?«, fragt er. »Haben Sie ein Foto von ihr?«
Elsbeth Wehrli schüttelt den Kopf, doch Mariola stößt sie an.
»Erinnerst du dich nicht, wie unsere Kundin, die Schellenberg, uns vor dem Laden fotografiert hat?«
Sie springt auf und holt aus der Kommode zwei Fotos. Auf dem ersten stehen die drei Frauen vor dem Geschäft. Die Sonne scheint ihnen ins Gesicht, sie blinzeln und lachen. Berti steht rechts, Elsbeth Wehrli links, Mariola, das einsame Eichhörnchen, haben sie in die Mitte genommen. Berti wirkt auf diesem Bild kompakt und zugleich weich. Sie trägt ein gut geschnittenes Kostüm und bequeme Schuhe. Auf dem zweiten fehlt Mariola, dafür steht neben Berti eine andere Frau.
»Die Frau Schellenberg«, erklärt Mariola.
Noldi konzentriert sich auf Berti. Er kann diese Frau nicht mit der Leiche und den zerrissenen Spitzenunterhosen in Verbindung bringen.
Das passt einfach nicht zusammen, überlegt er ratlos.
Wieder fällt ihm auf, dass er sich kein Bild von Berti Walter machen kann und noch viel weniger von ihrem Mörder. Oder ihrer Mörderin, fügt er im Geist pflichtschuldig hinzu. Wenn er Berti beschreiben müsste, was würde er sagen? Sie war offenbar eine gute Geschäftsfrau, seriös, gleichzeitig aber auch, denkt Noldi, unzufrieden und romantisch wie eine Fünfzehnjährige auf der Suche nach dem Märchenprinz. Wenn er sich vorstellt, dass sie auf einen wie den Rüdisühli hereingefallen ist.
»Darf ich die Fotos mitnehmen?«, fragt er die zwei Frauen. »Ich bringe sie bestimmt zurück.«
Er entscheidet sich für einen Überraschungsbesuch im Notariat. Der große Raum wirkt diesmal verwaist. Nur die ältere Angestellte sitzt an ihrem Pult.
»Still heute«, bemerkt Noldi statt einer Begrüßung.
»Ja«, antwortet sie. »Schrecklich, nicht wahr. Wenn man denkt, was für ein Betrieb das sonst war. Jetzt hat es nicht genug Arbeit, deshalb gebe ich den Mädchen abwechselnd frei. Was zu erledigen ist, erledige ich. Aber für vieles brauchen wir den Chef. Und neue Aufträge können wir im Moment unmöglich annehmen. Wo alles so ungewiss ist.«
Dann fährt sie ein wenig lebhafter fort, sie habe gute Nachrichten aus dem Krankenhaus. Der Notar sei zwar immer noch im Wachkoma, dafür heilten seine Verletzungen rasch, sodass die Ärzte erwögen, ihn schon in der kommenden Woche nach Hause zu verlegen.
»Ja, aber …«, sagt Noldi.
Sie unterbricht ihn.
»Klar, er braucht Betreuung. Frau Kläui meint, sie sei glücklich, wenn sie ihn wieder daheim hat. Alles andere ließe sich organisieren.«
Damit führt sie ihn ins Sitzungszimmer und schließt die Tür. »Übrigens«, sagt sie erst jetzt, »ich heiße Vreni Narayan. Was kann ich für Sie tun?«
Sie bietet ihm einen Stuhl an, setzt sich ihm gegenüber.
»Sie wissen«, beginnt er, »dass eine ehemalige Klientin von Herrn Kläui ermordet worden ist. Ihr Name ist Berti Walter.«
»Um Gottes Willen!«, ruft die Sekretärin. »Da kommen Sie zu uns. Wir können sicher nichts dafür. Und der arme Herr Kläui schon gar nicht. Der hat ihr geholfen, wo er nur konnte.«
Noldi fragt, wie es gewesen sei, als Kläui das Haus für Frau Walter verkauft habe. Ob sie oft ins Notariat gekommen sei.
Vreni Narayan schaut ihn an.
»Ich weiß schon, worauf Sie aus sind. Aber da war nichts. Diese Person hat sich an den Notar gehängt. Leidgetan hat sie ihm. Ohne den Vater ist sie plötzlich allein dagestanden. Sie sollten
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