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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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entschlossen, am Tatort dazwischenzugehen und ihn zu verhindern. Mir war klargeworden, dass ich beim Schreiben die Wirklichkeit vorausnehme, und ich dachte, dass das doch einen Sinn haben muss. Ich hatte mir eingeredet … mein Gott … ich hatte mir eingeredet, dass ich eine Art Gabe besitze und es meine Aufgabe wäre, etwas zu unternehmen … bevor der Mord geschieht.«
    »Warum hast du eben ›mein Gott‹ gestöhnt?«
    »Weil ich im Nordpark war, als Halle gestorben ist. Und heute Abend war ich in der Turnhalle, als …«
    Morgan hält mir den Mund zu. »Du bist auf der falschen Fährte. Es ist nicht, wie du denkst. Du wusstest doch noch nicht einmal, wo diese Werbeagentur von diesem Alek ist.«
    Ich sehe ihn an und nicke. Er hat recht.
    »Sag mir, was du getan hast, nachdem du die dritte Geschichte geschrieben hattest.«
    »Ich habe den Bus genommen und bin zum Nordpark gefahren. Ich habe gesehen, wie die Frau aus ihrem Hochhaus kam, und bin ihr ein Stück gefolgt. Es war ein eisiger, nebliger Morgen, die Kälte war durchdringend …«
    »Was hast du gefühlt?«
    »Mein Kopf war schwer, Schmerzen wie Dolchstöße.«
    »Stimmen?«
    Ich überlege einen Augenblick, schüttele dann den Kopf. »Nein … Aber ab einem gewissen Punkt hat mein Körper mir nicht mehr gehorcht. Ich war wie gelähmt. Ich konnte nicht weiterlaufen, wohl aber weglaufen, fliehen. Und das habe ich getan. Ich bin einfach umgekehrt. Und dann habe ich sie schreien hören. Noch heute fühle ich mich schuldig deswegen. Ich war feige.«
    »Das stimmt nicht. Du warst sehr mutig.«
    Ich schüttele den Kopf. »Quatsch, Morgan. Das tröstet mich nicht. Ich hätte sie retten können, wenn ich nur …«
    »Und diese letzte Geschichte?«
    Ich fange wieder an zu heulen. Zwar versuche ich, die Tränen zurückzuhalten, aber die eine oder andere entwischt und fällt auf meine eiskalten, unter der Brust verschränkten Hände.
    »Du hast sie ja gelesen. Diesmal ist es ein Junge, ein Musiker. Keine Verbindung zu den anderen drei Opfern. Ich habe wie verrückt nach einer solchen Verbindung gesucht, abgesehen von meinem Heft, meine ich, aber keine gefunden. Ich hatte an eine Sekte als Täter geglaubt … Ich war überzeugt, dass Tito und seine Freunde hinter allem stecken, und bin zur Polizei gegangen, um sie anzuzeigen. Sie haben sie geschnappt, aber wie du siehst … Arme Irre!«
    »Du bist gestern Abend aus dem Haus gegangen.«
    »Ja.«
    »Warum? Ich hatte dich doch gewarnt, dass du nachts nicht rausgehen sollst.«
    »Aber die Person in dieser Geschichte ist ein Musiker, er spielt Gitarre, verstehst du?«, erkläre ich. »Und mein Bruder und seine Band proben in einer alten Sporthalle. Als ich mit Jenna, meiner Mutter, gesprochen habe, kam dabei heraus, dass diese Halle in der Nähe des Krankenhauses ist. Genau wie in der Geschichte!«
    »Also hast du daraus geschlossen, dass das Opfer dein Bruder sein muss.«
    »Genau. Ich habe das Mofa gestohlen und bin dorthin gerast, um ihn zu beschützen. Doch dann, am Ort des Verbrechens, habe ich die Szene erneut durchlebt, nur dass ich nicht mehr da war, um ihn zu warnen, sondern … um ihn zu töten! Ich war die Mörderin. In der Geschichte beschreibe ich den Schimmer eines langen, schmalen Gegenstands, und ich hatte eine Eisenstange gefunden … Ich habe sie genommen, um mich zu verteidigen, weil ich dachte, dass sich da irgendwo jemand versteckt, und dann … Diese Stange war in meinen Händen, Morgan, verstehst du? Und dann war es, ich weiß nicht, als wäre ich nicht mehr ich selbst.«
    »Was hast du empfunden?«
    Ich starre ins Leere und versuche, mich genau zu erinnern.
    »Hass. Hass. Eine ungeheure Welle von Hass. Ich habe mit jeder Faser gespürt, dass ich meinen Bruder töten muss! Doch dann …« Meine Stimme wird von Weinen erstickt. Morgan nimmt mich in die Arme, und ich kralle meine Finger in seine Kleider in dem armseligen Versuch, das Schluchzen zu unterdrücken, damit mich meine Geschwister nicht hören.
    Morgan streichelt mich und wartet geduldig, dass ich mich beruhige. Erst als es im Zimmer wieder ganz still ist, spricht er.
    »Du machst gerade eine schlimme Zeit durch. Aber du musst stark sein und dich wehren. Das Schicksal richtet sich nicht immer nach unseren Wünschen. Viel öfter, und ohne erkennbaren Grund, scheint sich alles gegen uns zu verschwören. Und manchmal schlägt das Schicksal zu, mit der Präzision eines Scharfschützen.«
    »Das ist wahr«, murmele ich.
    »Wir werden

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