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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Tag für Tag und Nacht für Nacht auf die Probe gestellt, unser Leben lang. Es liegt an uns, aufzubegehren und die Geschehnisse nach unserem Willen zu formen. Es gibt vieles, zu vieles, was wir uns nicht aussuchen können. Unsere Eltern zum Beispiel. Aber sie können sich uns auch nicht aussuchen. Und manchmal werden sie nicht mit den Wendungen, die ihr Leben nimmt, fertig. Und verschwinden.«
    Er scheint meine Geschichte zu kennen.
    »Das ist nicht ihre Schuld. Niemand hat Schuld daran. Es gibt keine Schuld. Wenn unsere Eltern schlecht waren und Fehler gemacht haben, können wir besser sein als sie, besser als das, was sie uns beigebracht haben, besser als der Lebensstil, den sie uns vorgelebt haben. Man kann sich immer ändern. Man kann aufsteigen und absteigen. Gutes oder Schlechtes tun. Man hat die Wahl. Und das gilt auch für alle Ereignisse, in die wir gegen unseren Willen hineingezogen werden. Ich, du, wir alle haben die Möglichkeit, das Böse um uns herum zu überwinden und unter unseren Füßen zu zertreten. Aber wir können auch das Gegenteil tun und hinter dem Guten, das in uns ist, zurückbleiben. Wir können es ignorieren, es auslöschen und beispielsweise nie bemerken, wie im Frühling die Knospen an den Zweigen der Bäume sprießen.«
    Ich lächele, verzaubert von diesem Satz. Ich habe sie gesehen!, möchte ich ausrufen, aber Morgan lässt mir keine Zeit dazu.
    »Wir müssen Vertrauen haben, Alma, und dürfen nicht aufhören zu kämpfen. Jenseits der Finsternis existiert eine Welt aus Licht, sie ist nur verborgen. Es ist unsere Sache, einen Weg zu ihr zu finden.«
    Morgans Blick ist entschlossen und selbstbewusst. Ich spüre, dass er an jedes Wort glaubt, das er sagt, und dass er meinen Schmerz, meine Angst, meine Wut versteht.
    »Ich habe beinahe meinen Bruder umgebracht, Morgan.«
    »Du hast niemanden umgebracht.«
    »Was habe ich dann getan, deiner Meinung nach?«
    »Du hast dem Bösen nicht widerstanden. Und es hat dich gelenkt.«
    »Kapier ich nicht …«
    »Kannst du auch nicht. Noch nicht.«
    »Morgan …«
    »Du musst mir vertrauen.«
    »Hast du eine Erklärung für das, was passiert?«
    »Ich fürchte, ja, leider.«
    »Und?«
    »Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen und genau das zu tun, was ich dir sage. Zum Beispiel nicht bei Dunkelheit aus dem Haus zu gehen.«
    »Ich will es aber wissen.«
    »Und ich will dir nichts verheimlichen. Aber … ich kann einfach nicht deutlicher werden. Genügt dir diese Antwort fürs Erste?«
    Ich schüttele den Kopf. Ich habe geahnt, dass er anders ist als die anderen. Habe gewusst, dass ich mich von ihm fernhalten sollte. »Auch wenn ich sagen würde, dass es mir nicht genügt, würde ich wohl nicht mehr aus dir herauskriegen.«
    Er sieht mich an, besorgt und zugleich geheimnisvoll.
    »Was soll ich deiner Meinung nach tun?«, frage ich.
    »Du musst noch besser auf dich aufpassen. Geh abends nicht raus, aus keinem Grund. Und sei auch tagsüber auf der Hut. In der Stadt gehen sehr gefährliche Männer um. Sie werden Master genannt.«
    »Master?«
    »Du erkennst sie an ihrem Ring mit dem eingravierten Meeresdrachen.«
    »Wie der von Adam?«
    »Genau.«
    »Also ist Adam einer von diesen … Mastern?«
    »Nein.«
    »Warum bist du da so sicher?«
    »Ich habe ihn mit ins Schwimmbad genommen«, antwortet er. »Und lange mit ihm gesprochen.«
    Bei dieser Gelegenheit muss Naomis Schwester sie gesehen haben.
    »Adam hatte den Ring im Nordpark gefunden.«
    »So ist es. Der Ring gehörte einem von ihnen, einem Master. Es gibt noch zwei weitere Merkmale, an denen man sie erkennen kann.«
    »Nämlich?«
    »Sie haben ein abgeschnittenes Ohr.«
    Ich schlage entsetzt die Hand vor den Mund.
    »Wie schrecklich. Tragen sie deshalb immer einen Hut?«
    »Genau.«
    »Warum haben sie dieses abgeschnittene Ohr?«
    »Es ist ein Zeichen des Gehorsams.«
    »Gegenüber wem? Welcher Mensch würde so einen Beweis fordern?«
    »Kein Mensch. Ihr Herr. Im Moment musst du dich damit zufriedengeben.«
    »Und das zweite Merkmal?«
    »Sie sind vollkommen unbehaart. Keine Haare, Augenbrauen, Körperbehaarung, nichts.«
    Ich bin immer fassungsloser.
    »Deshalb tragen sie dunkle Brillen.«
    »Exakt.«
    »Der Mann, der uns im Alten Hafen verfolgt hat – war das auch ein Master?«
    »Ja.«
    Ich verstumme und denke nach. Gerade noch dachte ich, dass diese Master für die drei Morde in der Stadt verantwortlich sein könnten. Dass sie mich verfolgten, weil ich über

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