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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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einen Kopfhörer aus dem Ohr und fragt: »Was geht hier ab?«
    »Scrooges Büro ist verwüstet worden.«
    »Und von wem?«
    »Ich glaube, sie wissen es noch nicht. Aber die Polizei ist da und ermittelt.«
    »Die Polizei?«
    »Siehst du den Typ dahinten? Das ist ein Bulle.«
    »Was Ernstes also.«
    »Sieht so aus.«
    Agatha stöpselt ihre Kopfhörer wieder ein. Die Sache scheint sie nicht besonders zu beunruhigen. Andererseits scheint sie nie etwas besonders zu beunruhigen.
    »Ich gehe rauf«, sagt sie. »Wir sehen uns in der Klasse.«
    »Unsere Sitzung gestern war gut«, bemerke ich, ohne sie anzusehen.
    Agatha bleibt abrupt stehen. »Wollte ich gerade fragen. Gibt’s was Neues?«
    »Nein.«
    »Sehr gut.«
    »Agatha?«, hält Seline sie zurück. »Wie geht es deiner Tante?«
    Agatha starrt sie mit einem unergründlichen Blick aus ihren seltsamen grauen Augen an und antwortet: »Besser, danke.«
    Dann schaltet sie ihren MP 3 -Player wieder an, dröhnt sich mit voller Lautstärke Musik auf die Ohren und geht die Treppe hinauf, als wäre nichts gewesen. Als würde sie das alles nichts angehen.
    »Die Arme«, sagt Seline. »Sie ist mit ihren Gedanken ganz woanders.«
    Naomi stemmt die Hände in die Hüften. »Ja, fragt sich nur, wo …«
    »Gehen wir«, sage ich, als ich feststelle, dass der Polizist uns immer noch taxiert, eine nach der anderen, als würde er sich sein nächstes Opfer aussuchen wollen.
    Es kribbelt mir in den Fingern.
    So als würde einen die Lust zum Schreiben packen.

[home]
    Kapitel 12
    A n diesem Morgen ist die Schule ein summender Bienenstock aus Gerüchten, Verdächtigungen und Andeutungen jeder Art. Immerhin hat der Brand in Scrooges Büro meinen Mitschülern ein wenig Leben eingehaucht. Der Polizist marschiert in den Gängen auf und ab, wohl in der Hoffnung, die Täter dort irgendwo zu finden. In unsere Klassenzimmer eingesperrt, versuchen wir Schüler, auch die kleinste Neuigkeit mitzukriegen, wir lauschen mit gespitzten Ohren und fragen in einem ausgeklügelten System von abwechselnden Klogängen die Pedelle aus. Soweit wir in Erfahrung bringen konnten, sind der Vandale oder die Vandalen noch nicht identifiziert worden. Um zehn kommt die erste Mitteilung von Scrooge. Sie wird uns von der Mathematiklehrerin, einer bebrillten Eidechse mit strähnigen Haaren und ständig geröteten Augen, vorgelesen. Der Direktor droht damit, die Schule für eine Woche zu schließen, falls der Schuldige nicht ermittelt werden kann. Das scheint uns keine große Strafe. Wenn diese Stadt nicht so sterbenslangweilig wäre, könnte eine Woche schulfrei ein Geschenk des Himmels sein.
    In der Pause herrscht große Aufregung, Stimmengewirr und ein halblaut gemurmelter Name nach dem anderen ist zu vernehmen. Wer ist es gewesen? Wer? Kennst du den? Was wird der Polizist mit ihm machen? Ich habe gehört, dass dasselbe auch in einer anderen Stadt passiert sein soll. Scrooge selbst ist noch nicht aus den Trümmern seines Büros hervorgekommen. Man hat all seine Fotos verbrannt.
    Scrooge ist stinkwütend.
    Scrooge wird uns dafür büßen lassen.
    In dieser Gerüchteküche kommt mir nur einer entspannt vor. Morgan, der an die Wand gelehnt neben der Tür zu meinem Klassenraum steht.
    »Wartest du auf jemanden?«, frage ich, während ich lässig auf ihn zuschlendere.
    »Ja.«
    Ich werde ihm nicht den Gefallen tun und fragen, auf wen. Schweigend warte ich darauf, dass er es mir sagt. Doch Morgan betrachtet seelenruhig den Flur, die anderen Jungen, die anderen Mädchen. Dann, ohne den Blick von der Reihe Neonröhren an der Decke abzuwenden, fragt er: »Hättest du Lust auf einen heißen Kakao nach der Schule?«
    »Einen Kakao?«, necke ich ihn. »Ganz die alte Schule, was?«
    Aber in Wahrheit finde ich es nicht schlecht.
    »Dann eben einen Kaffee …«
    »Danke, aber ich kann nicht«, sage ich und sehe ihm weiter in seine veilchenblauen, magnetisierenden Augen. Morgan ist ein toller Junge, aber ich traue ihm nach wie vor nicht über den Weg und bleibe lieber auf Distanz. Er nimmt es mir nicht übel. Als verstünde er, weshalb ich ablehne. Aber er kann es nicht verstehen, weil ich es im Grunde selbst nicht verstehe.
    »Ist gut«, sagt er und stößt sich von der Wand ab. Er streift ganz sachte meinen Arm. Ich spüre nur den Luftzug seiner Hand, energiegeladen.
    »Für diesmal …«, sagt er lächelnd und geht.
    Ich stehe da und starre auf seinen geraden Rücken, der sich in seinem eleganten Gang geschmeidig mitbewegt. Morgan

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