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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Kasse einer Frittenbude auszurauben.«
    Jetzt bin ich es, die getroffen ist, als wäre mir ein großer Stein auf den Kopf gefallen. Ich sage mir, dass das nicht meine Angelegenheit ist, dass ich mich nicht einmischen sollte. Denn wer sich in Sachen reinhängt, die ihn nichts angehen, macht am Ende alles schlimmer und handelt sich bloß Ärger ein. Dennoch, bei der Vorstellung, dass Gad von seiner eigenen Tochter ausgeraubt wird, wird mir ganz schlecht.
    Ich schüttelte den Kopf. Naomi grinst, als wären wir jetzt quitt.
    »Und du?«, frage ich Seline.
    »Ich versuche, mir Mut zu machen.«
    »Neuigkeiten von Adam?«
    »Er ist bei der Schulleitung.«
    Agatha setzt sich an ihren Tisch, der nicht weit von meinem steht. »Und was ist mit Morgan?«, fragt sie, ohne uns auch nur anzusehen.
    »Morgan?«, frage ich zurück.
    »Du hast vorhin mit ihm geredet.«
    Ich blicke auf den Rücken meiner Freundin, dann nicke ich den anderen zu. »Er hat mich auf einen Kaffee eingeladen.«
    »Und, wirst du hingehen?«, will Naomi wissen.
    »Ich glaub schon.«
    »Dann muss er dir ja ziemlich gut gefallen.«
    Sie wissen, wie wählerisch ich bin. Ich zucke die Achseln. »Er macht mich neugierig, das ist alles.«
    Das Klingelzeichen unterbricht unser Gespräch.
    Ich gehe auf meinen Platz.
    Unter meinem Pult liegt etwas: ein Origami, ein kleines, aus Papier gefaltetes Tier. Ich hole es hervor und betrachte es gegen das Licht vom Fenster. Sieht aus wie ein Drache. Ein Drache?
    Meine Gedanken überschlagen sich … Adams Ring, der Hinterhalt am Fluss, das zerstörte Büro des Direktors.
    Ein Drache.
    Die Lehrerin kommt herein.
    Ich stecke ihn in meine Jackentasche und vergesse ihn für eine Weile.
     
    Adam steht stocksteif vor der Tür zum Direktorzimmer, neben ihm sein Vater, ein großer, zerzauster Mann in einer braunen Samtjacke. Adams Blick ist auf den grünen Fußboden geheftet. Nicht, weil er Angst hätte, auf Spott oder Ablehnung zu stoßen. Es ist in Wahrheit eher ein Blick, der Angst macht. Das bekomme ich zu spüren, als ich nach Schulschluss die Marmortreppe herunterlaufe und er plötzlich, als hätte er mein Kommen gefühlt, diesen Blick aus seinen immer noch geröteten Augen auf mich richtet und in mich bohrt. Als würde er mich umbringen wollen. Vor Überraschung stolpere ich auf den Stufen. Er will Rache. Als wäre es meine Schuld, dass er das Direktorat angezündet hat. Als wäre es meine Schuld, dass er die arme Seline beim Umziehen gefilmt hat. Ich gestehe ihm lediglich zu, wegen der Lektion, die wir ihm am Fluss erteilt haben, wütend zu sein. An allem anderen ist er ganz allein schuld.
    Auf seiner Höhe angekommen, wende ich mich mit einer betonten Kopfbewegung zur anderen Seite. Meine Haare sind Peitschen, die ihn ins Gesicht treffen sollen. Ich spüre seinen brennenden Blick im Nacken.
    Der Blick eines Drachen. Eines Drachen, der wiedererwacht ist. Und von dem ich mich fernhalten will.
    Ich verlasse das Schulgebäude und zwinge mich, nicht zu rennen.
    Ich habe keine Lust mehr, zu der Verabredung mit Morgan zu gehen. Eine quälende Angst würgt meine Kehle und windet sich hinunter bis zu meinem Magen.
    Aber noch weniger Lust habe ich umzukehren. Niemals umkehren, hat mein Vater immer gesagt.
    Wenigstens in dieser Hinsicht war er konsequent.

[home]
    Kapitel 21
    D ie Zebra-Bar ist ein kleines Lokal, das nur wenige Blocks von der Schule entfernt liegt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich nicht oft hingehe. Es ist langweilig, immer denselben Gesichtern zu begegnen. Außerdem kann man dort nicht für sich sein. Alle mustern einen, glotzen, mit wem man zusammen ist, und zerreißen sich das Maul darüber. Die unglaublichsten Gerüchte sind schon an diesen Tischen ins Leben gerufen worden. Die Macht des Tratsches ist erstaunlich.
    Entlang der Straße stößt eine Autoschlange Abgaswolken aus wie Konfetti beim Karneval. Die meisten Leute gehen schnell und mit gesenkten Köpfen, eine Herde von Rammböcken. Ich verkrieche mich hinter dem Kragen meiner Jacke. So nehme ich keine Gerüche wahr.
    Ich stecke meine Hände in die Taschen, sie sind bereits halb erfroren. Dabei streife ich das Origami. Es kommt mir vor, als würde es leicht flattern. Mit Sicherheit eine meiner Einbildungen.
    Das schwarz-weiße Schild über der Tür und das riesige Plastikzebra daneben empfangen mich am Eingang der Bar. Es wirkt ziemlich surreal, vor allem in einer Stadt, wo es noch nicht einmal einen Zoo gibt. Die Bar ist bis zum Platzen angefüllt

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