Nacht
verstummen.
Er schüttelt den Kopf, um diese albernen Gedanken zu verscheuchen. Er versucht, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, und wirft einen Blick auf seine kostspielige Armbanduhr. Shel hat sie ihm geschenkt, seine Freundin. Sie ist wunderschön, und er weiß, dass er nie Kinder von ihr haben wird. Falls er überhaupt welche möchte …
Alek lächelt. Es ist fast drei. Zeit, nach Hause zu gehen. Mit methodischer Ruhe räumt er seinen Schreibtisch auf, wirft den leeren Pappbecher in den Papierkorb, aus dem er seinen gewohnten abendlichen Getreidekaffee getrunken hat, macht seine Lampe aus und knipst den Schalter für die Hauptbeleuchtung an. Auf einen Schlag ist der große Raum nicht mehr dunkel. Das Neonlicht blendet geradezu nach dieser langen Zeit im Halbdunkeln. Alek kneift die Augen zusammen. Er nimmt eine Bewegung wahr, weiter weg, an der Wand am Ende des Raums.
»Ich bin wirklich müde«, murmelt er und gähnt, um mehr Sauerstoff aufzunehmen.
Er nimmt die Bildtafeln für die Kampagne und legt sie in eine Mappe aus dunkelblauem Karton, die er sich unter den Arm klemmt.
Er geht auf den Ausgang zu, ohne dass seine Schritte auf dem dicken, elfenbeinfarbenen Teppichboden, mit dem das ganze Büro ausgelegt ist, das geringste Geräusch machen.
Vor ihm fällt eine Tür zu. Alek bleibt erschrocken stehen.
Dann geht er weiter. Er vermutet ein offenes Fenster als Ursache, glaubt aber nicht wirklich daran.
Verstohlen sieht er sich um und hat das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden.
Alek geht schneller und gelangt zu den Fahrstühlen. Von unten kommen zwei Aufzüge heraufgefahren. Die vier schwarzlackierten Türen öffnen sich gleichzeitig. Die Aufzüge sind leer. Alek betritt den linken und fährt plötzlich herum, um zu sehen, ob jemand hinter ihm ist. Beim Runterfahren hört er, wie sich oben der andere Fahrstuhl in Bewegung setzt. Das unangenehme Gefühl wird immer deutlicher und beängstigender.
Er ist sicher, dass er verfolgt wird.
Das Foyer im Erdgeschoss ist jedoch leer. Und zum Glück beleuchtet.
Alek steuert schleunigst auf die Eingangstür zu, lässt sie hinter sich ins Schloss fallen und geht in Richtung Parkplatz. Sein Auto ist das einzige, das noch dort steht, ganz am anderen Ende. Ein altes weißes Cabrio mit schwarzem Verdeck, das Geschenk seiner Eltern zum Examen. Es steht genau vor einem großen Werbeplakat, auf dem eine Achterbahn zu sehen ist, deren Schienen auf einen Text zulaufen: »
GROSSE ERÖFFNUNG AM 19 . FEBRUAR
.« Das ist eine seiner Kampagnen.
Warum hat er nicht näher am Gebäude geparkt?, fragt er sich nervös, als er den Parkplatz überquert. Er hört noch, dass der andere Aufzug im Erdgeschoss angekommen ist. Doch Alek dreht sich nicht um. Er geht noch schneller.
Es ist wie ein Wettlauf zur Fahrertür des weißen Cabrios, in der einen Hand hält er die Autoschlüssel bereit, mit der anderen umklammert er die blaue Mappe. Er hat das Gefühl, dass er in Sicherheit sein wird, sobald er im Auto sitzt. Er wird nach Hause fahren und ein schönes heißes Bad nehmen, bevor er schlafen geht.
Er beruhigt sich ein bisschen.
Ich habe mir das alles nur eingebildet, sagt er sich, und steckt den Schlüssel ins Schloss. Aber er schafft es nicht mehr, ihn umzudrehen. Ein harter Schlag trifft ihn in den Nacken.
Alek fällt zu Boden, in eine totale Dunkelheit.
Eine Dunkelheit, in der nie mehr Licht wird.
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Kapitel 5
D er Rachedurst ist uns angeboren, habe ich mal irgendwo gelesen.
Tatsächlich glaube ich, dass es nur wenige Menschen gibt, die nicht zur Rache fähig sind, genauso wie es nur wenige gibt, die nicht fähig sind zu lügen. Wir reagieren meistens auf ein Unrecht, das uns widerfahren ist. Auf Angriff folgt Verteidigung. Ganz einfach. Fest steht, dass Rache uns nicht hilft, das Unrecht zu vergessen oder es ungeschehen zu machen. Sie gibt uns höchstens das Gefühl, ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit walten zu lassen. Aber auch der Begriff von Gerechtigkeit ist höchst subjektiv.
Heute werden wir Adam bestrafen.
Beim Aufwachen bin ich ein bisschen nervös. Ich hatte Schwierigkeiten einzuschlafen und habe schlecht geträumt. Im Dunkeln taste ich nach der Nachttischlampe. Ich knipse das hässliche Ding an. Jenna hat versprochen, mir eine neue zum Geburtstag zu schenken. Schlimmer als die kann es nicht werden.
Mein violettes Heft liegt noch immer dort unten am Fuß des Bettes. Niemand hat es angefasst. Niemand kommt je in mein Zimmer. Mein Blick bleibt
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