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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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wie es aussah, auf einigermaßen festem Boden. Zumindest hielt er sich aufrecht. Und auch die Häuser hinter ihm hatten aufgehört, zu wackeln und zu zittern.
    So rasch es der schwankende Stahl unter uns zuließ, robbten Amadé und ich voran. Ich heftete meinen Blick fest an Marians Gestalt. Da sackte die Brücke ein Stück unter uns weg, wir rutschten nach vorn, das Gitter schürfte mir den Arm auf. Nur ein paar Meter trennten uns noch vom Ufer. Ich klammerte mich an die Metallstreben.
    »Flora! Verdammt!«, schrie Marian und setzte probehalber einen Fuß auf die Metallstreben vor sich. Doch die Brücke trug ihn nicht mehr.
    Überall barsten nun die Stahlplatten und Amadé und ich waren die Einzigen, die sich noch an die wackelnde Konstruktion klammerten.
    Meine Arme und Beine schmerzten. Ich biss die Zähne zusammen. Gemeinsam krabbelten wir weiter, zogen uns voran über scharfkantiges Metall.
    Marian fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und bewegte den Mund, doch ich konnte nicht verstehen, was er sagte, weil in diesem Augenblick einer der Pfeiler wegknickte.
    Ich schob mich vorwärts, während sich die Brücke unter mir immer weiter in die Tiefe neigte. Dann waren da plötzlich Marians Hände, die Amadé und mich packten und ans Ufer zogen. Erschöpft fielen wir auf das anthrazitfarbene Kopfsteinpflaster, gerade als der Hauptträger der Brücke sich zur Seite drehte, umkippte und die ganze Konstruktion mit sich in die Fluten des Hades riss. Der Lärm war kaum auszuhalten, doch er hielt nur wenige Sekunden an. Dann war es vorbei.
    Zu dritt blickten wir auf das Wasser hinaus, auf die Arbeitersiedlung dahinter und das Nichts am Horizont, das so zahm aussah, als habe es sich niemals von der Stelle gerührt.

4
EINE BLÖDE IDEE
    Der Morgen begann mit Chaos. Gegen halb acht weckte mich das Klirren von zerbrechendem Glas. Ich tappte in die Küche und fand meinen Vater inmitten der Trümmer unserer Kaffeemaschine auf dem Fußboden hockend. Die Brille saß ihm schief auf der Nase, das Pulver aus der ebenfalls am Boden liegenden Kaffeedose hatte sich mit dem Wasser aus der kaputten Kanne zu einer krümeligen Matsche vermischt, die auf den Fliesen klebte. Mein Vater stützte das Kinn in die rechte Hand und betrachtete die Sauerei.
    »Es sieht ein bisschen aus wie Südamerika, findest du nicht?« Mit dem Zeigefinger zog er die Umrisse der Kaffeepampe nach, nur um eine Sekunde später angeekelt auf seine Fingerspitze zu starren und sie an seiner Schlafanzugjacke abzuwischen.
    »Äh«, sagte ich und klaubte rasch die scharfkantigsten Glasstücke aus seiner Reichweite. »Es ist Samstagmorgen. Warum bist du überhaupt schon auf?«
    »Samstag?« Mein Vater blinzelte, als wüsste er nicht, was das Wort bedeutete. Mann, war der durch den Wind! Anscheinend hatte das Erdbeben ihm den Rest gegeben.
    »Samstag«, bestätigte ich. »Teil des Wochenendes, ein Tag, an dem wir ausschlafen.« Ich steckte die Scherben und Plastikteile in einen Müllbeutel. Mein Vater verfolgte meine Bewegungen mit abwesendem Blick.
    »Samstag«, murmelte er gedankenverloren vor sich hin, bis er schließlich (ich hatte inzwischen die meisten Scherben aufgesammelt und wischte gerade den Boden) die Verknüpfung in seinem Gedächtnis fand. »Unser Ausflug!« Er sprang so plötzlich auf, dass er beinahe auf den nassen Fliesen ausgerutscht wäre. »Ich … ich kann nicht mit. Wegen Eisenheim. Wegen des Erdbebens. Ich …«
    »Ist schon okay«, sagte ich und lehnte den Mopp an die Küchenzeile. Seit einigen Wochen hatten mein Vater und Christabel es sich zur Aufgabe gemacht, mir Stück für Stück die Zusammenhänge zwischen realer und Schattenwelt beizubringen. Als Prinzessin und Thronerbin meines Vaters sollte ich ihrer Meinung nach nun, da ich eine Wandernde geworden war, umfassend ausgebildet werden. Dazu hatten die beiden mir etwa ihre Arbeit in der realen Welt erklärt (sie überwachten das Treiben der Wandernden auf der ganzen Welt), einen Physiker angeschleppt, der stundenlang über Schwarze Löcher und Dunkle Materie referierte, und mit mir geübt, meine Schattengestalt auch in der realen Welt anzunehmen (also meinen Körper irgendwo zurückzulassen und für die Schlafenden unsichtbar umherzufliegen). Tja, und heute stand ein Ausflug an, bei dem es um die Geschichte der Schattenwelt gehen sollte. Gähn. Das klang leider fast so langweilig wie der Vortrag des Physikers. »Ich verstehe natürlich, dass du gerade Wichtigeres zu tun hast. Wir können das

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