Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
mir noch ein paar Sekunden, um wieder von hier zu verschwinden.
    In diesem Moment drehte sich der Eiserne Kanzler zu mir um. Er tat es ohne Eile und mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen. Es war das erste Mal, dass wir außerhalb des Palastes aufeinandertrafen, seit ich seine Träume zerstört hatte. Das erste Mal, ohne dass mein Vater oder seine Wachen oder Marian in der Nähe waren. Nur der Kanzler und ich, ganz allein in dieser merkwürdigen Halle.
    »Hallo, Flora. Wie geht es Ihnen?« Wenn er überrascht war, mich zu sehen, so verbarg er es gut hinter seinen jungenhaften Zügen. Er trug ein Monokel, das mit einer silbernen Kette an seiner Westentasche befestigt war. Trotz der albernen Aufmachung sah er … gut aus. Sexy auf eine altmodische Art und Weise. Doch ich ließ mich nicht täuschen von seinem unschuldigen, beinahe aufrichtig wirkenden Blick und den sinnlichen Lippen, denn auch wenn er ihn gut zu verstecken wusste, so entging mir der Schimmer der Unsterblichkeit in seinen Augen nicht. »Hallo«, sagte ich heiser, weil mein Mund plötzlich trocken geworden war, und schob mich weiter auf die Tür zu. Noch immer lächelte der Kanzler mich an, obwohl ich wusste, dass er niemanden so sehr hasste wie mich. Übelkeit stieg in mir auf. Hatte er mich hier etwa erwartet? Nein, das konnte nicht sein. Ich hatte die Existenz dieser Villa ja nicht einmal erahnt, bis ich unmittelbar davorgestanden hatte. War es also Zufall, dass wir uns hier trafen? Ich auf der Suche nach meiner Prophezeiung und er beim … Ja, was tat er hier eigentlich?
    »Es freut mich außerordentlich, Sie zu sehen«, sagte der Kanzler und deutete eine Verbeugung an. »Prinzessin.« Er war die Freundlichkeit in Person. Dennoch wich ich einen Schritt zurück und überlegte fieberhaft, ob ich etwas bei mir trug, was ich als Waffe einsetzen konnte. Leider hatte ich außer meiner Kleidung und einem kleinen Beutel voller Geld nichts dabei. Wenn ich den Kanzler nicht mit meinem Mantel ersticken wollte, blieb mir höchstens die Möglichkeit, Sieben auf ihn zu hetzen. Immerhin trug der oberste Befehlshaber der Schattenreiter im Gegensatz zur Dame keine Maske, die ihn vor Verbrennungen schützen konnte. Allerdings war Sieben irgendwo unter dem Dachfirst verschwunden und »Warum so schweigsam? Hat Ihnen die Freude über unser unverhofftes Treffen die Sprache verschlagen?«
    »Ganz und gar nicht«, krächzte ich rasch. Obwohl meine Stimmlage meine Worte Lügen strafte, setzte ich so würdevoll wie möglich hinzu: »Ich frage mich nur gerade, ob dies der Moment ist, in dem Sie Rache an mir nehmen werden. Sicherheitshalber möchte ich mich deshalb nun verabschieden.«
    Der Kanzler stieß ein trockenes Lachen hervor. »Aber, aber«, sagte er und stand im nächsten Augenblick so nah vor mir, als wolle er mich küssen. »Sie sollten mir doch nicht solch niedere Gelüste unterstellen.« Sein Haar streifte meine Wange, als er sich zu mir vorbeugte, um mir ins Ohr zu flüstern: »Ich bin hier, um einen alten Freund zu besuchen oder das, was von ihm übrig ist. Das steinerne Abbild meines geliebten Bruders und Weggefährten. Wissen Sie, manchmal überkommt mich die Melancholie. Dann habe ich Sehnsucht nach denen, die ich einst liebte und schon vor so langer Zeit verlor.«
    Ein Schaudern kroch über meinen Nacken, während seine warme Haut an meiner lag und ich mit dem Würgereiz kämpfte. Unwillkürlich wich ich zur Seite, bis ich mit dem Rücken gegen eine Säule stieß. Wenigstens gelang es mir so, einige Zentimeter Abstand zwischen uns zu bringen. Der Blick des Kanzlers hing noch immer an der Büste des jungen Mannes. »Dann … will ich Sie nicht weiter dabei stören«, murmelte ich.
    Die Pupillen des Kanzlers schnellten eine Spur zu ruckartig zu mir zurück. »Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen.«
    »So bin ich«, entfuhr es mir überflüssigerweise. Warum um alles in der Welt stand ich überhaupt noch hier? Warum rannte ich nicht längst um mein Leben? Stattdessen blieb ich, wo ich war. Die Furcht legte sich um meine Kehle wie eine eiserne Klammer. Und so verpasste ich schließlich den Moment, in dem ich noch hätte fliehen können.
    »Allerdings wäre es sehr unhöflich von mir, nicht wenigstens ein paar Worte mit der Tochter meines Fürsten zu wechseln«, erklärte der Kanzler und brachte sich mit einer fließenden Bewegung zwischen mich und den Ausgang.
    Ich seufzte und verspürte den Drang, die Lider zu senken, um sein Gesicht nicht länger sehen

Weitere Kostenlose Bücher