Nacht aus Rauch und Nebel
mich an einem aufmunternden Lächeln. »Lass uns erst mal nachsehen. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm.« Ich zog ihn auf die zitternden Knie. Gemeinsam betraten wir den Flur, wo uns Christabel mit ernster Miene empfing. »Sie waren nur bei Flora.«
»Was?«
Ich stürzte an ihr vorbei. Mit einem Mal war ich diejenige, die gestützt werden musste. Mein Zimmer war vollkommen verwüstet worden! Ich krallte mich in den Türrahmen. Der Inhalt meines Kleiderschrankes verteilte sich auf dem Teppich und dem Bett, aus dem jemand die Matratze herausgerissen hatte. Die Schubladen von Kommode und Schreibtisch waren ausgekippt worden, zwischen Schulheften und Unterwäsche lagen die Bücher aus meinem Regal mit zerrissenen Schutzumschlägen und verknickten Seiten. In einer Ecke entdeckte ich etwas Flauschiges. Es war Franz, mein Kuschelkissen in Form eines Schafes.
Wie ein Kleinkind rannte ich zu Franz hinüber und hob ihn auf, wiegte ihn in meinem Arm, während Tränen über meine Wangen kullerten. Ich war mir der Albernheit dieser Handlung natürlich bewusst, trotzdem konnte ich nicht anders. Schluchzend betrachtete ich die Trümmer meiner Privatsphäre. Jemand war hier gewesen. Jemand hatte mein Zimmer auf den Kopf gestellt, meine Unterhosen durchwühlt, meinen Kopfkissenbezug zerrissen. Kein einziges Teil meines Besitzes lag noch an seinem Platz. Es fühlte sich an, als hätte man mich gezwungen, einen Striptease hinzulegen. Die Polizei traf ein und ich zwang mich, mich zusammenzureißen. Vorsichtig bettete ich Franz auf einem Haufen Pullover, dann ging ich ins Wohnzimmer, wo mein Vater anscheinend endgültig zusammengebrochen war. Mit leerem Blick hing er in seinem Sessel, während Christabel seine Hand tätschelte und die beiden Polizisten das Ausmaß der Verwüstung begutachteten, den Fall aufnahmen und Fragen stellten. Zum Beispiel danach, was gestohlen worden war.
Ich schluckte. »Nichts, soweit ich es bisher sehen konnte.« Ich besaß ohnehin nicht viele Wertsachen, doch auch die waren liegen gelassen worden. Meinen iPod hatten die Einbrecher genauso verschmäht wie meinen Computer und die kleine Dose mit dem Silberschmuck meiner Mutter, die ich in meiner Sockenschublade aufbewahrte. Und die übrigen Räume schienen tatsächlich unangetastet geblieben zu sein. Jedenfalls fehlte weder etwas aus dem Büro meines Vaters noch einer seiner wertvollen Fische. Auch nach Spuren suchten die beiden Polizisten vergeblich. Den Tätern war es irgendwie gelungen, unser ausgeklügeltes Alarmsystem zu umgehen. Fest stand: Sie hatten in meinem Zimmer nach etwas gesucht. Bloß war nicht klar, wonach, und demnach auch nicht, ob sie es gefunden hatten. Die Polizei machte uns wenig Hoffnung auf eine Klärung des Falles, der immerhin nach einem Einbruch ohne Diebstahl aussah.
Als wir eine halbe Stunde später wieder unter uns waren und alle drei fertig mit den Nerven um eine Kanne Schwarztee hockten, äußerte ich endlich den Verdacht, der mir bereits seit dem ersten Blick in mein Zimmer im Kopf herumspukte. »Ich denke, es war der Kanzler. Er wollte mir eins auswischen.«
»Unsinn«, sagte Christabel. »Warum sollte er so etwas tun?«
»Na, wegen des Steins. Er hasst mich, das wisst ihr.«
Mein Vater seufzte und massierte sich die Nasenwurzel. »Flora, müssen wir denn immer und immer wieder darüber diskutieren? Der Eiserne Kanzler ist unserer Familie gegenüber absolut loyal. Außerdem kann er überhaupt nicht in diese Welt vordringen, das weißt du doch.«
»Er hat immer noch seine Schattenreiter. Und er führt etwas im Schilde. Ich habe gesehen, wie er tagsüber heimlich im Palast –«
»Schluss jetzt. Ich will das nicht mehr hören. Wir haben gerade genügend andere Probleme. Die Vorkommnisse in Eisenheim, ein paar Schattenreiter, die sich neuerdings nicht mehr kontrollieren lassen und sogar Autos angreifen, und jetzt auch noch dieses Fiasko. Unser System hat versagt, Christabel, wie konnte so etwas nur passieren?«, sagte er und klang von Satz zu Satz weinerlicher.
»Wir müssen uns noch stärker absichern, Kasimir. Vielleicht sollten wir doch mal über diese neuen Lichtschranken nachdenken, auch wenn sie sündhaft teuer sind.«
Mein Vater nickte. »Und wir müssen noch besser auf Flora aufpassen.« Er wandte sich wieder mir zu. »Von jetzt an gehst du in der realen Welt nirgendwo mehr ohne Christabels oder Marians Begleitung hin, verstanden? In der Schattenwelt wohnst du ab sofort wieder bei mir im Palast.«
Ich
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